Schwarze Schafe in Venedig
Berufspause hat er mir von Paris aus Aufträge vermittelt, und ich habe ihm Ware zukommen lassen, und unsere Beziehung hat sich im Laufe der Jahre als derart einträglich erwiesen, dass sie auch den einen oder anderen Stolperstein unbeschadet überwinden konnte. Seit ich in Venedig lebe, hören wir nicht mehr so oft voneinander – was zum einen daran lag, dass er einfach nicht verstehen konnte, warum ich stur darauf beharrte, in einer Stadt, die vor Reichtümern und günstigen Gelegenheiten nur so strotzte, auf dem schmalen Pfad der Tugend zu bleiben, zum anderen daran, dass ich verhindern wollte, dass er mir allzu verlockende Angebote machte und mich so in Versuchung führte. Aber wie es in einer guten Freundschaft so ist, konnte ich ihn trotzdem einfach jederzeit aus heiterem Himmel anrufen, ohne dass es irgendwie merkwürdig war, und genau das tat ich jetzt.
»Alio?« Seine Stimme klang warm und entspannt, wie immer, wenn er gerade ein Gläschen Wein trank. Im Hintergrund hörte ich klassische Musik aus der Stereoanlage – entweder das, oder das französische Nationalorchester gastierte gerade in seinem Wohnzimmer.
»Pierre, hier ist Charlie«, sagte ich. »Wie geht’s, wie steht’s?«
»Charlie! Wie schön, von dir zu hören! Ç a va?«
»Oui«, entgegnete ich. »Und dir?«
»Nicht schlecht, mein Freund. Aber es ist ruhig, ja? Saure-Gurken-Zeit.«
»Ach?«
»Die Kälte. Der Regen. Da will niemand für mich arbeiten. Ich sage immer, die Dunkelheit ist unser Freund, aber auf mich hört ja niemand. Die sind einfach alle zu faul. Nicht wie du, Charlie. Du bist mein bestes Pferd im Stall.«
»War«, korrigierte ich ihn. »Und die Schmeichelei kannst du dir sparen. Ich will keinen Job.«
Worauf er unwillig schnaubte. Nicht gerade ein angenehmes Geräusch. »Schreibst du immer noch?«, fragte er und hätte dabei nicht abfälliger klingen können.
»Im Großen und Ganzen ja«, entgegnete ich und warf Victoria einen schuldbewussten Blick zu. Die schaute mich erwartungsvoll an, als hätte sie mir am liebsten das Telefon aus der Hand gerissen. »Victoria lässt schön grüßen.«
»Ah, très bien. Ist sie bei dir?«
»Ich rufe gerade von ihrem Handy an. Sie winkt.«
»Dann werfe ich ihr ein paar Küsse zu.«
Ich legte die Hand über das Mikro und erzählte Victoria die frohe Kunde. »Sie wirft dir auch Küsschen zu«, sagte ich zu Pierre. Was sie tatsächlich tat.
»Weißt du, Charlie, sie hat mich gebeten, ein Buch über mich zu schreiben. Eine kleine Geschichte meines Lebens. Ich habe ihr gesagt, ich bin zu jung dafür – ich habe noch viel Arbeit vor mir. Aber sie kann sehr überzeugend sein, nicht?«
»Oh ja, das kann sie.« Victoria schaute mich stirnrunzelnd an, plötzlich misstrauisch geworden. Ich gab mir allergrößte Mühe, vollkommen harmlos aus der Wäsche zu gucken. »Hör mal, Pierre«, fuhr ich fort und schwenkte die orange Flüssigkeit in meinem Glas. »Ich muss dich was fragen. Ich habe hier in Venedig eine Bekanntschaft gemacht. Eine weibliche Bekanntschaft – in meinem früheren Berufszweig. Und ich habe mich gefragt, ob du sie wohl in deiner Kartei hast?«
»Eine Frau?«
»Ganz genau.«
»Dann non .« Er pfiff leise. »Tut mir leid, Charlie, aber das ist etwas ungewöhnlich, ja?«
»Ich weiß, wie sie heißt – Graziella –, aber womöglich ist das nicht ihr richtiger Name.«
»Sie ist Italienerin?«
»Da bin ich mir ziemlich sicher. Ich nehme sogar an, Venezianerin. Klingelt es da bei dir?«
»Tut mir leid, Charlie. Ich kannte mal eine Deutsche. Mais , die ist inzwischen im Ruhestand. Eine Schande, eigentlich – sie war wirklich gut.«
Victoria tippte mir auf den Arm. »Frag ihn, ob er irgendwelche Leute hier in seiner Kartei hat. Womöglich wissen die was über Graziella. Vielleicht könnte Pierre mit ihnen reden und herausfinden, ob die irgendwas über sie sagen können.«
»Gute Idee«, meinte ich und erklärte Pierre dann, worin diese gute Idee genau bestand.
»Ich werde es versuchen«, sagte er. »Ganz bestimmt gibt es da Leute, mit denen ich reden kann.«
»Das wäre großartig, Pierre. Ich weiß das sehr zu schätzen. Aber hör zu, du könntest vielleicht noch etwas für mich tun.«
»Nur zu. Bitte.«
»Würdest du Augen und Ohren offenhalten, falls jemand eine signierte Erstausgabe des Malteser Falken verkaufen will?«
Pierre stutzte. »Charlie, no . Dein Buch, es wurde dir gestohlen? Sag mir, dass das nicht wahr ist.«
Aber leider war es wahr. Und sosehr
Weitere Kostenlose Bücher