Schwarze Schafe in Venedig
Victoria mir K.-o.-Tropfen in den Schlummerkakao gekippt. Vielleicht waren das noch die Nachwirkungen von Martins Schlafmittelchen. Langsam kamen mir Zweifel, ob er wirklich Arzt war – irgendwie kam er mir vor wie ein Pferdedoktor, der einem seiner behuften Patienten eine ordentliche Dosis Tranquilizer verpasst hatte.
Graziella drehte und wendete den Elektroschocker in der Hand und grinste mich an wie die Katze eine Maus, ehe sie ihr genüsslich die Gedärme herausreißt. Oder genauer gesagt, es war so, wie wenn eine Fassadenkletterin einen aus der Übung geratenen Dieb angrinste, ehe sie ihm mitleidlos in die Eingeweide schoss.
»Das wolltest du an mir ausprobieren?«, fragte sie und zog einen Flunsch, als sei allein die Vorstellung ein einziger Affront.
»Ich gestehe, der Gedanke ist mir kurz durch den Kopf geschossen«, brummte ich. »In Anbetracht der Tatsache, dass Sie mich mit einer Pistole bedrohen.«
Worauf sie die Abdeckung des Elektroschockers mit dem Daumen zurückschob, sodass die Metallklauen aufblitzten, und dann den Schalter umlegte, bis der Strom bläulich knisternd in ihrer Hand pulsierte. Fasziniert schob sie die Unterlippe vor, um mich dann abschätzend zu mustern. Ich zog die Beine an, um möglichst viel Abstand zwischen mich und dieses Ding zu bringen. Was sie wiederum zu amüsieren schien. Sie lächelte und unterbrach den Stromfluss, dann steckte sie das Gerät wieder in die Ta s c h e.
»Du hast den Aktenkoffer aufgemacht.« Sie verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Die giftig-rote Perücke raschelte wie ein Hula-Röckchen, und durch die grelle Farbe wirkte ihr Teint noch blasser als sonst – als litte sie unter schwerer Anämie.
»Wie kommen Sie denn darauf? Woher um alles in der Welt wissen Sie das?«
In ihren Augen blitzte es, aber ihre Lippen blieben ungerührt. »Du bist ein Idiot«, erklärte sie mit vor Müdigkeit schwerer Stimme. »Eigentlich müsstest du tot sein.«
»Ich hatte Glück. Der Tresorraum hat die Explosion gedämpft.«
Sie zuckte zusammen, als habe sie schon befürchtet, ich könne das sagen. »Die Münzen? Die Gemälde?«
»Weg. Alles futsch.«
Worauf sie schwer ausatmete und sich dann mit dem Lauf der Pistole die Schläfe kratzte. Schade, dass ich nicht schneller reagierte. Hätte ich bloß meine Hände hinter dem Rücken hervorholen und den Abzug betätigen können, ehe sie merkte, was ich im Schilde führte, ich hätte meine Schlafzimmerwände mit ihrer Hirnmasse dekorieren können. Aber vielleicht rutschte ihr ja auch die Hand aus und sie erledigte das selbst.
Aber nein, leider nicht. Sie ließ die Waffe wieder sinken und stützte beiläufig den Ellbogen in die Fläche der anderen Hand. Mein Blick wanderte zu ihrer wohlgeformten Taille. Kein Klettergeschirr.
»Wie sind Sie reingekommen?«, fragte ich.
»Durch die Tür«, entgegnete sie schlicht.
Hm, dann war sie also tatsächlich so gut, wie ich befürchtet hatte. Die von mir eigenhändig ausgewählten Schlösser zu knacken war kein Kinderspiel, und außerdem war da noch der Alarmsensor im Flur. Am liebsten hätte ich sie gefragt, wie sie es geschafft hatte, sich so mucksmäuschenstill hier hereinzuschleichen. Einzig mein Ego und der letzte Rest meiner Berufsehre hielten mich davon ab.
»Darf ich Sie was fragen?«, fragte ich.
Sie legte den Kopf zur Seite, wobei ihre rote Mähne unnatürlich gerade herunterhing. Anscheinend hatte sie es nicht eilig, mich kaltzumachen.
»Warum gerade ich?«
Sie blinzelte. Wirkte fast ein bisschen benommen. »Darum. Es gibt keinen Grund.«
»Keinen einzigen?«
»Ich hatte eigentlich gehofft, du seiest schlauer. Hättest du auf mich gehört und getan, was ich dir gesagt habe, wäre alles halb so schlimm gewesen. Du hättest doch was aus dem Tresorraum mitnehmen können, oder?«
»Aber Sie haben mir doch gesagt, ich soll die Finger davon lassen.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute sie mich an. Okay, das war ein bisschen paradox. Schließlich hatte sie mir ja auch gesagt, ich solle unter keinen Umständen den Koffer öffnen.
»Ich wäre in einen Mordanschlag verwickelt worden«, sagte ich zu ihr. »Ich meine, darum ging es doch, oder?«
Sie nickte kaum merklich, aber es genügte schon, dass sie es nicht abstritt. Das hätte mich wohl eigentlich nicht weiter verwundern sollen, aber es schockierte mich trotzdem, beinahe zum Handlanger einer Mörderin geworden zu sein. Weiß Gott, was ich gemacht hätte, hätten Hab- und Neugier nicht die Oberhand
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