Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Sie stand mit ihrem rollenden Plastikwarengeschäft mitten auf der Straße. Vielleicht hatte sie geträumt, oder sie war einfach nur nicht schnell genug gewesen, müde von dem langen, heißen Tag. Sie trug den konischen Hut der Landfrauen. Gegen die Abgase hatte sie über Mund und Nase ein Stück Stoff gebunden. Am Lenker ihres Fahrrads hingen Tüten mit Spiegeln und Kämmen. Auf der Satteltasche türmten sich pinkfarbene Plastikschüsseln über roten Eimern, obenauf thronten blaue Hocker. Auf dem Gepäckträger klemmte ein Mülleimer mit der Aufschrift »Glück für jeden«.
Die Nähe des Uniformierten ließ dem Mädchen kaum Luft zum Atmen. Wie angewurzelt stand sie vor ihm. Ly konnte ihre Verzweiflung sehen. Scheine wechselten den Besitzer.
»Verflucht, sie wollen Geld, immer wieder Geld«, schimpfte Ly. Minh legte ihm fest seine Hand auf den Arm, wie um ihn daran zu hindern, aufzuspringen und dem Polizisten seine Faust ins Gesicht zu schleudern. Am liebsten hätte er es getan. Doch was brachte es? Nichts.Was würde eine Beschwerde bei der Verkehrspolizei helfen? Auch nichts. Das war ihm klar.
»Diese Kampagne für Ruhe und Ordnung gibt diesen Typen doch nur einen neuen Vorwand, Schmiergelder einzusacken. Die Frauen werden weiter ihre Waren auf der Straße verkaufen. Sie müssen nun nur noch mehr abdrücken«, sagte Xuan.
»Regt euch nicht auf. Diese Verkehrspolizisten sind nicht unbedingt böse. Sie sind schlecht bezahlt. Ihr kennt doch ihren Durchschnittslohn«, wiegelte Minh ab und hob dabei besänftigend seine fleischigen Hände. »Kaum genug, um die Familie zu versorgen. Da muss jeder von denen ab und an seinen Lohn aufbessern. Hat ja schließlich nicht jeder eine gut verdienende Ehefrau.«
Ly schnaubte laut aus. Das musste Minh ihm jetzt nicht auch noch unter die Nase reiben. Er litt schon genug darunter, dass seine Frau ein Vielfaches von ihm verdiente.
Der Polizist sprang wieder auf die Ladefläche. Der Fahrer lenkte den Pick-up wie in einer letzten Demonstration seiner Macht seitlich über den Gehweg und donnerte über einen Plastikhocker, der noch vor einem der benachbarten Häuser stand. Er zerbarst mit einem lauten Krachen.
»Was ist mit deinem bia hoi ? Gehen sie dich nicht auch an?«, wollte Xuan wissen.
»Meine Kontakte sind gut. Aber ich zahle natürlich auch meinen Teil. So ist die Realität. Wenn du Geschäfte machen willst, brauchst du Geld.«
Xuan nickte. Mit seinen Läden lief es sicherlich nicht anders.
»Na toll. Und wenn du kein Geld hast?«, warf Ly ein.
»Dann sitzt du hier sowieso in der Scheiße.«
*
Obwohl er todmüde war, schlief Ly in dieser Nacht schlecht. Er wälzte sich hin und her und wachte mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Er konnte sich an nichts erinnern, wusste aber, dass er schlecht geträumt hatte. Er schlug nach einer Mücke, die hartnäckig um seinen Kopf kreiste. Es war heiß und stickig. Weder der Deckenventilator noch der Standventilator neben dem Fußende des Bettes bewegten sich. Schon wieder kein Strom. Sie brauchten unbedingt Regen, Wasser für die Stauseen der Kraftwerke. Durch die Dachluke konnte er den Himmel sehen. Er war wolkenlos. Der Mond warf einen silbernen Schimmer in den Raum.
Seine Frau Thuy lag neben ihm und schlief. Trotz der Hitze hatte ihre Tochter Huong sich eng an sie gekuschelt. Sie schnarchte leise. Thuy und Ly hatten zwei Kinder. Huong war 16 Jahre alt, Duc fünf. Er war zurzeit bei Thuys Mutter auf dem Dorf.
Die Wohnung, ein einziger quadratischer Raum mit hoher Decke und dunklem Holzboden, war inklusive der kleinen abgetrennten Küche nicht größer als 18 Quadratmeter. Das eine große Bett teilten sie sich zu viert. Wenn es Ly zu eng wurde, was oft der Fall war, zog er auf die Bastmatte auf dem Fußboden.
Das Zimmer lag im ersten Stock eines alten Stadthauses. Außer Ly, Thuy und den beiden Kindern lebten in dem Haus Lys Mutter, eine alte Tante, die Familie seinesjüngeren Bruders und seine älteste Schwester mit zwei erwachsenen Kindern.
Das Haus lag in der Straße der Mechaniker. Sein Bruder betrieb im Erdgeschoss eine Motorradwerkstatt, seine Mutter einen kleinen Kiosk. Es gab wabenartige Anbauten an der Fassade und Zwischendecken, die neuen Raum schafften. Dusche und Toilette befanden sich unten im Hof. Die ganze Großfamilie teilte sich die veralteten Sanitäranlagen. Es gab nicht einmal eine Klospülung. Man musste Wasser aus dem alten Brunnen in der Hofmitte ziehen und nachschütten.
Ly stand auf, nahm seine
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