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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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seine Mutter weigerte sich. Sie wollte nicht am Stadtrand leben. Und Ly eigentlich auch nicht. Wenn nur nicht alles so eng wäre.
    Beinahe wäre er über Tante Thoa gefallen. Die fast Hundertjährige saß auf einem Schemel mitten im Weg und regte sich nicht. Sie ließ sich schon lange nicht mehr von dem Geschehen in ihrer nächsten Umgebung ablenken.
    Im vorderen Erdgeschossraum waren die Gittertüren weit aufgezogen. »Wie die Männer haben wir gekämpft. Viel tapferer als die Männer.« Wie zur Bestätigung ihrer eigenen Worte wippte seine Mutter mit dem Kopf. Siesaß hinter ihrem niedrigen Verkaufstisch. Die Kaugummipäckchen hatte sie zu kleinen Türmen gestapelt, die Colaflaschen in gerader Linie aufgereiht. Zigaretten verkaufte sie einzeln, den Zug aus der Wasserpfeife auch. Die Wände um sie herum waren schmutzig, die beigen Bodenfliesen ölverschmiert. Überall lagen Kolben, Drähte, Schrauben und Vergaser. Der Raum war zugleich die Werkstatt von Lys Bruders. Seine Kunden, die hier warteten, waren auch ihre Kunden.
    »Ich kann es nicht glauben. Was ist nur aus euch geworden?«, setzte seine Mutter fort. Ein Mann mit Schnapsfahne und einer Knastnummer auf dem Unterarm bat um ein Glas Tee, das Lys Mutter ihm einschenkte, ohne ihren Redeschwall zu unterbrechen. »Wir sind mit Waffen in den Dschungel gezogen. Für unsere Freiheit. Für den Sozialismus. Für eine bessere Zukunft. Und ihr, was macht ihr daraus?«
    Ly dachte, seine Mutter schimpfe einfach so vor sich hin. Das tat sie in letzter Zeit immer öfter. Dann aber hörte er ein leises Schluchzen aus der hinteren Ecke der Werkstatt, von dort, wo sie der Mutter mit einem frei stehenden Schrank als Paravent einen kleinen Raum abgetrennt hatten. Mit Platz für ein Bett und den Ahnenaltar. Neben der Zeichnung des verstorbenen Vaters stand dort auch ein Foto von Lys älterem Bruder. Nur 19 Jahre war er alt geworden. Ly fand es immer wieder seltsam, dass er längst viel älter war als sein großer Bruder. 1979 war dieser im Krieg gegen die Chinesen gefallen. Von einem Granattreffer im Unterstand verschüttet und erstickt. Seine Mutter stellte ihrem Erstgeborenen täglich Kuchen, Bananen und Cola auf den Altar. Sein Vater bekam Schnaps undZigaretten. Die Verstorbenen behielten auch nach dem Tod ihren festen Platz im Familienverbund.
    Zu Füßen des Altars kniete Lys jüngste Schwester Tam. Sie hatte Ly den Rücken zugekehrt.
    »Ly, sag doch mal was!«, drängte seine Mutter. »Dein Bruder interessiert sich ja doch nie für irgendetwas, das in dieser Familie passiert.«
    Das stimmte. Sein Bruder nahm gerade auf dem Gehweg den Motor einer alten BMW auseinander. Seelenruhig, als höre er nichts. Er war ein Weggucker, immer schon gewesen.
    »Worum geht’s denn?«, fragte Ly.
    »Tam, nun zeig schon.«
    Seine Schwester rührte sich nicht.
    »Los doch«, herrschte die Mutter sie an.
    Langsam, wie unter großen Schmerzen, drehte Tam sich zu Ly um und hob den Kopf. Ihre rechte Gesichtshälfte war dick angeschwollen. Das Auge blutunterlaufen. Die Lippe aufgeplatzt.
    »Ein Fahrradunfall«, wisperte Tam, und Ly sah, wie ihr die Tränen hochstiegen.
    »Blödsinn«, keifte seine Mutter.
    »Ngoc. Ich bring ihn um«, presste Ly hervor.
    Tam hielt sich die Hände vor das Gesicht. Ly trat gegen den nächstbesten Gegenstand, der ihm vor die Füße kam, und stürmte aus dem Haus.
    »Ly, bitte, lass Ngoc in Ruhe«, rief Tam ihm hinterher.
    *
    Ly achtete nicht auf den Verkehr um ihn herum. Einmal musste ein Motorrad scharf bremsen, um ihn nicht zu erwischen. Was war das nur für eine beschissene Welt? Kreuz und quer lief er durch die Gassen. Ihm war heiß vor Wut. Sozialismus hin oder her, der Konfuzianismus und sein hierarchisches Weltbild galten immer noch mehr. Ly bezweifelte, dass sich das je ändern würde.
    An einer der Suppenküchen gegenüber von Minhs bia hoi blieb er schließlich stehen. Auf den Eingangsstufen saßen drei Mädchen und schnitten Limonen in kleine Dreiecke. Er schob sich an den rußigen Suppentöpfen vorbei in den Innenraum und setzte sich an einen Tisch vor dem weit geöffneten Fenster.
    Aus dem Lautsprecher am Strommast bellte die Frauenstimme des Stadtteilradios die neueste Tageslosung. »… Per Beschluss 185371, modifiziert am 8. Mai durch das Volkskomitee, müssen die Fußwege frei gehalten werden … Haltet Straßen und Umwelt sauber … Belästigt keine Touristen, indem ihr ihnen nachlauft, weil ihr ihnen etwas verkaufen wollt.« Wer hörte diesem Mist

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