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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Luttmer
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Vinataba und eine Flasche Reiswein und kletterte die an der Wand befestigte Metallleiter hoch. Durch die Dachluke zog er sich auf das Flachdach. Die Geräuschkulisse von der Straße war längst verebbt. Ly setzte sich auf den Rand eines Kübels mit einer pinkfarbenen Bougainvillea und schaute über das Dächermeer. Mit seinem Durcheinander aus Wellblechschuppen, tonnenförmigen Wasserkanistern, Antennen, Blitzableitern und Wäscheleinen drängte es sich bis an die zwei massigen neogotischen Türme der katholischen St.-Joseph-Kathedrale. Ein Gecko rief sein » tac-ke-tac-ke «. Leichter Wind strich Ly durch die kurzen Haare. In seinen Boxershorts und dem T-Shirt war ihm fast etwas kühl.
    Ly nahm einen Schluck von dem Wein aus rotem Bergreis und ließ ihn genüsslich im Mund kreisen. Er schmeckte weich und hatte eine dezente Süße.
    »Ly, bist du das da oben?«, hörte er Thuy leise rufen.
    Ihr Kopf erschien in der Dachluke. Er reichte ihr die Hand und zog sie hoch. Ihr schlanker Körper schimmerte durch das dünne weiße Nachthemd, und ihre glattenschwarzen Haare fielen ihr lang über die Schultern. Er wollte sie an sich drücken.
    »Nein.« Sie schob ihn mit ihrer brüsken Art von sich. Er wusste, dass jeder Versuch, sie jetzt zu umarmen, erfolglos wäre. Enttäuscht zog er seine Hände weg.
    »Du bist gestern mitten in der Nacht abgehauen. Hättest du nicht mal was sagen können?«
    »Es gab einen Mord, oben am Tay-Ho-Tempel. Ich musste sofort los.« Er redete sich heraus, obwohl er in Wahrheit nicht einmal daran gedacht hatte, ihr auch nur eine Nachricht zu hinterlassen.
    »Du solltest Duc übermorgen von meiner Mutter abholen. Das wird dann wohl nichts?«
    »Kannst du nicht hinfahren?«
    »Ich muss morgen früh ins Mekong-Delta. Für fast drei Wochen. Es hat sich kurzfristig ergeben. Zwei Schweizer.«
    »Ein Ehepaar?«
    »Zwei Männer.«
    »Muss das sein?«
    »Was soll das? Reiseleitung ist mein Job. Wir brauchen schließlich das Geld.« Schon wieder dieses leidige Thema. Auch als höherer Staatsbeamter deckte sein Einkommen kaum die nötigsten Ausgaben.
    »Dann muss Duc noch bei meiner Mutter bleiben«, sagte Thuy.
    »Ich vermisse ihn«, seufzte Ly.
    »Ich auch. Aber er ist gerne im Dorf. Und du, kümmere dich lieber um Huong.«
    »Huong? Seit wann will Huong jemanden, der auf sie aufpasst?«
    »Will sie nicht. Braucht sie aber.«
    Ly schüttelte leicht den Kopf. Er hielt Thuy, was die Kinder betraf, für zu angespannt. Und in Bezug auf die Erziehung ihrer Tochter zudem für ziemlich altmodisch. Man musste heute aus den Mädchen keine Köchinnen und guten Ehefrauen mehr machen.
    »Glaub mir doch einfach mal. Sie macht nur noch, was ihr passt. Sie treibt sich die ganze Nacht draußen rum. Sie hört auf nichts mehr.« Thuys Tonfall verriet, dass sie es ernst meinte.
    »Ihre Noten sind doch gut, oder?« Soweit Ly wusste, machte Huong das mit links, und er fragte sich oft, wie sie das schaffte.
    »Es geht hier nicht um ihre Noten. Ich mache mir Sorgen. Kannst du das nicht verstehen?«
    Ly fiel sein Gespräch mit Dr. Quang ein. Aber es war nicht der Augenblick, Thuy auf die Aufklärung ihrer Tochter anzusprechen.
    »Und was soll ich machen?«, fragte er.
    »Rede mit ihr. Auf dich hört sie.«
    Ly bezweifelte das.
    »Bitte«, fügte Thuy hinzu. »Ich frag mich allen Ernstes, ob Huong irgendetwas macht, wovon wir keine Ahnung haben. Ab und an sehe ich sie mit so miesen Kerlen. Die geben sich wie kleine Gangster. Muskeln aus dem Fitnessstudio. Tattoos auf den Bizeps.«
    »Tattoos?« Ly fuhr hoch. Panik ergriff ihn.
    *
    Sie kam an einen offenen Platz. Instinktiv wusste sie, dass sie ihn meiden musste. Sie schleppte sich den Weg zurück, den sie gekommen war. Sie hatte nichts gegessen und kaum etwas getrunken. Ihr Gaumen klebte, und ein pelziges Gefühl überzog ihre Zunge. Sie schlich eng an den Häuserzeilen entlang. Als sie Schritte hörte, sprang sie hinter einen Banyan. Jemand ging ganz nah an ihr vorbei. Sie spähte durch die Luftwurzeln und hätte fast aufgeschrieen. Er war es. Er suchte nach ihr. Sie wagte kaum zu atmen. Nach einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, verstummte das Scharren seiner Schritte in der Ferne. Sie rannte los. Die Straße entlang, rechts, links, rechts. Nur weit weg, in die andere Richtung. Der Eingang zu einer Pagode stand offen. Hinter dem Altarraum fand sie eine Nische. Sie legte sich hin. Aus dem Boden drang noch die Wärme des Tages. Die Tränen liefen ihr über die Wangen.

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