Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
blaugrüner Kerzen.
Ly musste schmunzeln. Ein tätowierter Polizist. Wenn der Parteikommissar das wüsste.
»Seeleute. Die lieben Tattoos. Jungs eben«, sagte Xuan, der Lys Blick aufgeschnappt haben musste, und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Ly stellte sich zu Xuan und sah zu, wie der Bug die rostbraune Wasseroberfläche zerschnitt. Xuan manövrierte das Boot geschickt zwischen den Sandbänken hindurch. Sie fuhren stromaufwärts. Hanoi lag linker Hand. Dicht neben dem Boot sprang ein Fisch.
»Warum willst du den Fluss noch mal abfahren? Was soll das bringen?«, fragte Xuan etwas unwirsch. »Wir waren doch schon die ganze Nacht draußen.«
»Ich will mir selbst einen Eindruck verschaffen«, sagte er, und es war ihm egal, dass Xuan sich kontrolliert fühlte. Sollte er doch.
Das letzte Mal, dass Ly auf dem Fluss gewesen war, musste in seiner Kindheit gewesen sein. Bilder kamen ihm in den Sinn, an die er ewig nicht gedacht hatte. »Früher haben wir hier unten gespielt. Wir haben Flöße gebaut und sind geschwommen. Auf den Sandbänken haben wir das Obst versteckt, das wir vorher aus den Gärten stibitzt haben.«
»Ja, das kenne ich.« Xuan lachte. Sein Unmut war verflogen. »Man konnte ja schlecht die geklaute Jackfrucht zu Hause öffnen. Alle Nachbarn hätten es sofort gerochen.«
Beim Gedanken an das gelbe Fruchtfleisch, das gleichzeitig nach Orange und Vanille schmeckte, prickelte es Lyauf der Zunge. Er hatte Hunger. In zwei Stunden würde er die schöne Hehlerin im VinPearl treffen, einem Restaurant mit vorzüglicher Küche. Aber Nguyen Kim Thanh hatte ihm ein falsches Alibi aufgetischt. Ihr Treffen würde ein Verhör werden, kein gemütliches Abendessen.
Xuan nahm Gas weg. »Hier haben wir diesen Reissack aus dem Wasser gefischt«, sagte er.
Ly lehnte sich über die Reling. Das Wasser wirbelte in einem Strudel wild durcheinander. Weit und breit war keine Sandbank zu sehen. Und auch sonst sah Ly nichts, was ihn weitergebracht hätte. Nur Wasser, nichts als Wasser.
»Ich will mit den Sampanschiffern sprechen«, sagte Ly. »Wenn Dangs Theorie stimmt, war der Sack, in dem der Mann in den Fluss geworfen wurde, mit einem ihrer Anker beschwert.«
Xuan nickte. »Es gibt da eine Stelle, wo sie abends ankern. Aber Achtung. Das sind sture Hunde. An denen beißt du dir schnell die Zähne aus.«
»Sture Hunde? Kannst du mir sonst etwas über sie erzählen?« Ly hatte noch nie einen Sampanschiffer kennengelernt. Nomaden des Flusses wurden sie genannt, mehr wusste er nicht über sie.
»Eigenbrötler sind das«, sagte Xuan. »Ihre Heimat sind die Boote.« Sie wurden dort geboren, und die meisten von ihnen starben auch dort. Aber Nomaden waren die Schiffer, die vor Hanoi lagen, nicht mehr. Sie bewegten sich kaum von der Stadt weg. Bis vor ein paar Jahren hatten sie noch die frischen Waren der Kleinbauern des näheren Umlands zum Großmarkt unter der Long-Bien-Brücke geschippert. Damals gab es kaum Lastwagen oderMotorräder, die die Transporte hätten übernehmen können. Und noch bis in die 1980er Jahre war die Long-Bien-Brücke in der Gegend die einzige Verbindung über den Roten Fluss. Sie war immer verstopft. Damals wurde gewitzelt, man bräuchte von der Stadt zum Flughafen auf der anderen Flussseite länger als vom Flughafen nach Moskau.
»Mittlerweile gibt es viele effizientere Schiffe«, sagte Xuan und zeigte auf einen Reisfrachter ein Stück flussabwärts. Ein einfach gebautes, bauchiges Holzschiff. »Die Sampans haben ja meist nicht einmal einen Auslegermotor. Sie werden gerudert. Und die Infrastruktur ist heute auch besser. Damit sind den Sampanschiffern die Aufträge weggebrochen.«
»Und wovon leben sie jetzt?«
»Von der Hand in den Mund. Ab und an ergattern sie noch mal eine kleine Transportfuhre. Bananen, Erdnüsse und so. Ansonsten fischen sie und bauen auf den Sandbänken Gemüse an.«
»Kaum zu glauben, dass man davon leben kann.«
»Na ja, sie haben hier und da auch noch ihre kleinen Extraeinnahmen. Wenn du früh aufstehst, kannst du die Straßenhändlerinnen beobachten, wie sie ihre Räder an den Fluss schieben. Die Boote sind ein geeignetes Versteck für Schmuggelware.«
»Die Schiffer schmuggeln? Von China aus über den Roten Fluss?«
Ly dachte an den alten Dung, bei dem er seinen Taiyuan -Chardonnay kaufte, einen Weißwein aus der Gegend westlich von Peking. Bevor Dung ihm eine Flasche aus dem Regal gab, zog er die Steuermarke ab und klebtesie auf eine neue Flasche, die er aus
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