Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
einer Kiste unter der Ladentheke holte. Die Märkte wurden überflutet von Produkten aus China, die am Zoll vorbeigingen.
Xuan winkte ab. »Wo denkst du hin? Die Schiffer lagern lediglich die Ware auf den Booten.«
»Alkohol? Auch Drogen?«
»Ach was. Nur Kleinkram. Wir finden nie etwas außer Plastikspielzeug und Klamotten. Nichts, wofür es sich lohnen würde, großes Aufheben zu machen.«
»Hast du eine Liste aller Sampanfahrer, die hier vor Hanoi liegen?«
Xuan schüttelte den Kopf. »Die sind nicht gemeldet, wahrscheinlich haben die meisten nicht mal Geburtsurkunden. Aber ich schätze, es sind knapp 50 Boote. Und auf jedem lebt mindestens eine Familie, inklusive Kindern und Alten.«
Xuan legte den Gashebel auf die schnellste Position und jagte Richtung Norden.
*
Die Sonne war bereits untergegangen, als sie am Ankerplatz ankamen. Die Flottille aus Sampans dümpelte sanft im seichten Wasser. Ly konnte die Rümpfe nur schemenhaft ausmachen. Die Schiffer plauderten von Boot zu Boot. Leise klangen ihre Stimmen durch das Dunkel. Ein Mädchen, das reglos an einem Mast lehnte, sah zu Ly hinüber. Er konnte das Weiß ihrer Augen im Dunkeln sehen. Xuan stoppte den Motor und rief laut: »Hey, wo finden wir Phan Duy Huy?«
Auf einem der Sampans erhob sich eine dunkle Gestaltund zeigte auf ein Boot, das etwas abseits lag. Es war eines der größeren Sampans, etwa sieben Meter lang und zwei Meter breit. Langsam steuerte Xuan auf das Boot zu und stellte den Motor aus.
»Wer ist Phan Duy Huy?«, fragte Ly.
»So was wie ihr Sprecher. Genau dein Mann.«
Der Sampan wackelte bedenklich, als Ly hinübersprang. Xuan kam nicht mit, er wollte auf dem Patrouillenboot warten. Es roch nach Fisch, Diesel und Pech. Zwischen Tauwerk und einem tragbaren Kohleofen lagen grüne Fischernetze. Ly dachte unwillkürlich an das Seil, mit dem die Füße des Toten gefesselt gewesen waren. Allerdings waren diese Seile, mit denen die Netze geknüpft waren, hier dünner.
Zwei Drittel des Decks überspannte ein Gestell aus rund gebogenen Bambusstangen. Es war mit Bastmatten bedeckt und an einigen Stellen mit Plastiktüten geflickt. Unter der niedrigen Decke brannte matt eine Petroleumlampe. In ihrem Licht hingen Mücken. Über den Bambusstreben trocknete Wäsche. Eine junge Frau mit vollen, glänzenden Wangen saß auf einem Stapel ordentlich zusammengelegter Decken, vor sich einen Haufen stockiger Fischernetze, auf ihrem Arm ein Baby. Mit der freien Hand stopfte sie eine schadhafte Stelle an einem der Netze. Mit geübten Bewegungen fädelte sie eine breite Holznadel, durch die ein festes Garn gezogen war, durch die Rippen. Eingequetscht zwischen Kisten, Töpfen und Schüsseln saß eine zweite Frau auf dem Boden. Sie kämmte sich die langen grauen Haare, der Saft von Betelnüssen hing ihr auf den Lippen. Um ihre Füße spielten zwei nackte Kleinkinder. Geduckt und mit eingezogenemKopf ging Ly über das Boot. Irgendwo schrammte er sich seine Schulter.
Der Mann, den er suchte, kauerte im Heck des Bootes. Er hatte ein scharf geschnittenes Gesicht und musterte Ly über den Rand seiner Wasserpfeife. Ohne sich unterbrechen zu lassen, sog er den Tabak durch das Bambusrohr, das er sich eng an den Mund drückte. Das Wasser im Rohr gluckerte. Er schloss die Augen, dann blies er den Rauch langsam aus.
»Sind Sie Phan Duy Huy?«, fragte Ly.
Der Mann nickte.
»Ich bin Kommissar Pham Van Ly. Ich ermittele in einem Mordfall. Gestern wurde am Ufer vor Phuc Tan ein toter Mann aus dem Schlick gezogen.«
Im Gesicht von Phan Duy Huy zeigte sich weder Überraschung noch Neugier.
»Wir gehen davon aus, dass er von einem Boot ins Wasser geworfen wurde. Haben Sie vielleicht innerhalb der letzten Wochen irgendetwas Verdächtiges beobachtet?«
Phan Duy Huy schüttelte den Kopf.
»Wird bei Ihnen jemand vermisst?«, fragte Ly.
Wieder verneinte der Schiffer stumm, wobei er seinen durchdringenden Blick nicht von Ly abwendete.
Ly reichte ihm die Zeichnung des Toten. Er nahm sie, schaute sie lange an und gab sie Ly mit einem Kopfschütteln zurück.
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die anderen Schiffer befragen würden. Vielleicht hat irgendjemand etwas Auffälliges gesehen«, sagte Ly, zunehmend ungeduldig.
»Keiner der Schiffer hat etwas gesehen. Wir können Ihnen nicht helfen«, sagte Phan Duy Huy. Ly meinte, Angstaus seinen Worten herauszuhören. Vielleicht war es aber auch nur seine eigene Angst, hier an diesem merkwürdigen, dunklen Ort. Er hatte genug,
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