Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
sie auf ein Schild, das neben der Tür an der Wand klebte. »Postannahmestelle. 1000 Dong/ Brief. 3 000 Dong/Paket. Zu zahlen bei Aushändigung.«
Wie konnte er das übersehen haben? Ly gab sich alle Mühe, dass dieses Weib ihm seinen Verdruss nicht ansah. Er verlangte nach der Post, die sie entgegengenommen hatte.
Sie brachte eine Kiste, in der vier Päckchen und etwa 50 Briefe lagen. Er fand den Umschlag des Fotostudios AsiaFoto und steckte ihn ein. Wieso hatte diese Hoa den Brief nicht abgeholt? Würden sie auch ihre Leiche finden? Oder gab es einen anderen Grund, weshalb sie nicht hergekommen war?
Die Frau hielt ihm ihre faltige Hand unter die Nase. »1000 Dong.«
Ly ignorierte sie. »Sind das alles Wanderarbeiter, die sich die Post hierherschicken lassen?«, fragte er.
»Die Wanderarbeiter haben feste Adressen, mieten sich irgendwo ein, so wie bei mir. Zumindest für die Saison. Meine Postannahmestelle nutzen vor allem die Leute vom Fluss.«
Für eine Sekunde sah Ly die Frau sprachlos an, dann ließ er sie grußlos stehen und rannte zu seinem Roller. Als er sich noch einmal umdrehte, war die Tür bereits zugeschlagen.
*
Mit einer Hand lenkte Ly die Vespa über den sandigen Pfad, mit der anderen hielt er das Telefon ans Ohr. Zuerst sprach er mit Xuan, der ihm bestätigte, dass Sampans und viele der kleinen Fischerboote aus Reisstrohgeflecht mit Teer abgedichtet wurden. Dann rief er den Gerichtsmediziner Dr. Quang an, der sagte, er habe bei dem Teer unter den Fingernägeln der Toten zwar mehr an geteerte Dachpappe gedacht, aber natürlich könnte es auch der Teer von einem Boot sein. Gar nicht so unwahrscheinlich, fügte er nach einigem Nachdenken hinzu. Die etwas ungewöhnliche Zusammensetzung des Teers spräche sogar dafür.
*
Etwa ein Dutzend Boote lag am Ankerplatz der Sampans. Im Tageslicht kamen sie Ly noch ärmlicher vor als bei Nacht. Es war still, nur die Insekten kreischten, und irgendwo schrie ein Baby. Ly hob die Hand über die Augen, um gegen das Licht besser sehen zu können. Auf dem Bug eines Sampans mit blauem Wellblechdach und einer zerfledderten vietnamesischen Flagge stand ein Mann. Ly rief nach ihm. Als der Mann sich nach ihm umdrehte, zuckte Ly zusammen. Diese Augen. Auch auf diese Entfernung erkannte er sie, die ungewöhnlich hellen Augen. Das war der Mann, den er auf der Long-Bien-Brücke getroffen hatte. Auch er schien Ly erkannt zu haben. Er hob die Hand, und es sah aus, als wolle er Ly grüßen. Doch dann zog er die Hand ruckartig zurück, wandte sich ab und verschwand in der Kajüte. Ly sah sich nach einem Beiboot um, mit dem er zu dem Sampan hinüberkäme. Im Sand lag ein Floß aus zusammengebundenen Styroporplatten,das ihm wenig vertrauenerweckend erschien. Aber immer noch besser, als durch die dreckige Brühe zu schwimmen, dachte Ly. Er wollte das Floß gerade ins Wasser schieben, als Phan Duy Huy, dieser Sprecher der Sampanschiffer, den Trampelpfad zum Fluss herunterkam. An der Hand hielt er ein Mädchen mit einer rosafarbenen Schultasche auf dem Rücken.
Ly ging auf Phan Duy Huy zu, der ein paar Schritte rückwärts machte und das Mädchen mit sich zog. Jetzt erst sah Ly, dass er ein steifes Bein hatte.
Ly zeigte zu den Sampans hinüber. »Wer ist der Mann mit diesen hellen Augen?«
»Was wollen Sie von ihm?«
»Wer ist er?«
»Er heißt Thinh. Ein Schiffer.«
»Sein Familienname?«
»Weiß ich nicht.«
Wieder kehrte Lys Ungeduld zurück, die ihn schon bei seinem letzten Zusammentreffen mit diesem Phan Duy Huy ergriffen hatte. »Ich will mit ihm sprechen.«
»Lassen Sie uns in Ruhe.«
»Ich habe diesen Thinh schon einmal getroffen, ich glaube, da wollte er mit mir sprechen.«
»Und was wollte er?«, fragte Phan Duy Huy.
Ly zog fragend die Schultern hoch. Wenn er das nur wüsste. Er sah, dass Thinh wieder an Deck gekommen war, und begann, das Boot durch Staken vorwärtszubewegen. Immer wieder stemmte er sich mit einer langen Stange gegen den Grund des Flusses, bis der Sampan hinter der Sandbank aus Lys Blick verschwand. Ly fluchte. Er überlegte, Xuan anzurufen, damit er Thinhs Sampan verfolgte,ließ es aber sein. Er würde jetzt erst einmal mit Phan Duy Huy sprechen.
»Wir haben Ihnen nichts zu sagen. Weder Thinh noch ich«, sagte der nur.
»Da bin ich anderer Meinung.« Ly merkte, wie seine Wut auf diesen Schiffer, der so beharrlich schwieg, wuchs. Und dabei war er sich ganz sicher. Es passte alles zusammen. »Ich weiß nicht, wer der tote Mann aus dem Fluss
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