Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
an. Mit geradem Rücken und strengem Gesichtsausdruck schritt er die Reihe der Wartenden ab. Keine Geste der Freundlichkeit, kein Lächeln. Seine Hände spielten mit einem Schlagstock. »Hände aus den Taschen. Nicht reden. Gerade stehen. Mützen abnehmen.«
Die Sonne brannte erbarmungslos. Sie marschierten jetzt in Zweierreihen. Eines der Thai-Mädchen musste neben Ly laufen. Ein hellhaariger Ausländer, der etwas orientierungslos herumstand, wurde ruppig in die Reihe gestoßen.
Sie näherten sich dem ersten Röntgengerät, wie es sie sonst nur am Flughafen gab. »Keine Fotoapparate! Keine Videokameras!« Wenige Meter weiter wiederholte sich die Prozedur. Wieder ein Röntgengerät. Hier sollte Ly sein Mobiltelefon abgeben. »Muss das sein?« Der Uniformierte beharrte mit steinernem Gesichtsausdruck auf seiner Forderung. Ly würde das Telefon am Ausgang wiederbekommen.
Er hätte doch seinen Polizeiausweis bei den Empfangsdrachen einsetzen sollen. Wovor hatten sie eigentlich solche Angst? Ho Chi Minh war seit vierzig Jahren tot.
Auf den letzten Metern schritten sie auf einem roten Teppich. Die sozialistische Ehrengarde in magnolienweißen Uniformen stand Spalier. Hinter ihnen schlug die rote Flagge mit dem gelben vietnamesischen Stern laut im Wind.
Der Innenraum des Mausoleums war eisgekühlt. Lys verschwitztes Hemd klebte sofort kalt am Körper. Langsam umkreisten sie unter dem wachsamen Blick weißUniformierter den gläsernen Sarkophag. Stocksteif standen die Soldaten entlang der Wand, die Köpfe leicht in den Nacken gelegt, Nase und Kinn erhoben. Nur ihre Augen bewegten sich und folgten den Besuchern. Eine alte Frau murmelte leise ein Gebet. Einer der Veteranen verneigte sich vor dem Toten. Ho Chi Minh sah aus, als schliefe er. Im beigefarbenen Tropenanzug, die Hände auf dem Bauch gefaltet. Sein Antlitz schimmerte wächsern und durchsichtig, die Wangen rosa wie auf einer kolorierten Schwarzweißfotografie.
Zu Lebzeiten hatte er über eine schlichte Feuerbestattung verfügt. Nun jedoch lag er hier, einbalsamiert und öffentlich zur Schau gestellt. Ly hielt es für eine ziemliche Indiskretion. Aber ihm war natürlich klar, dass die Partei nicht auf ihn verzichten konnte. Mit der Konservierung dieses Toten, dessen Leben für harte Arbeit, Bescheidenheit und den Dienst am Volke stand, versuchte sie, seine Werte zu bewahren, die angesichts wachsender Korruption und Dekadenz für viele in ihren eigenen Reihen längst nicht mehr zu gelten schienen. Das Volk sollte weiter an ihn glauben und damit ruhiggestellt werden. Ly betrachtete Onkel Ho, wie die meisten ihn respektvoll nannten, während er von den Besuchern hinter sich zum Ausgang durchgeschoben wurde. Und dann stand er auch schon wieder im grellen Tageslicht.
Er sah den Fotografen sofort. In einer dieser Hosen mit großen Taschen an den Beinen und einem Käppi von Fujifilm fand Ly ihn etwas albern. Aber sein Gesicht war ihm sympathisch. Sie begrüßten sich knapp und traten einen Schritt aus dem Strom der Menschen heraus, der unaufhörlich aus dem Gemäuer des Mausoleums quoll.
»Ich habe das Fahndungsfoto in der Volkszeitung gesehen«, begann der Mann. »Sie kam mir gleich bekannt vor. Ich konnte sie nur nicht zuordnen. Aber es hat mir keine Ruhe gelassen. Ich bin letzte Nacht mein Archiv durchgegangen. Hier, vor zwei Wochen aufgenommen.« Er reichte Ly ein Foto, das er vor dem Mausoleum gemacht hatte. Es war leicht überbelichtet. Dennoch erkannte Ly in der jungen Frau, die ihm von dem Foto entgegenlächelte, sofort die Frau wieder, die er im Tempelhof gesehen hatte. Sie wirkte sinnlich. Ihr Blick hatte etwas Rebellisches und Aufmüpfiges. Sie trug die für Dorfbewohnerinnen typische weite schwarze Hose und eine türkisfarbene Bluse mit rundem Ausschnitt. Die Haare hatte sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt. Sie war auf eine einfache Art hübsch, wie jemand, der nicht um seine Ausstrahlung wusste.
Neben ihr stand ein Mädchen, das noch die dürre Staksigkeit eines Kindes hatte und scheu in die Kamera blickte. Die Ältere hatte den Arm um die Jüngere gelegt und sie zu sich herangezogen.
In Lys Fingern kribbelte es. Endlich eine Spur, die ihn der Identität der Toten näherbrachte.
»Es waren einfache Mädchen, das weiß ich noch. Sicherlich keine Städterinnen. Aber sie hatten auch nicht so einen starken Dialekt wie so viele der Wanderarbeiter.«
Dieses jüngere Mädchen auf dem Foto, wieso hatte es sich nicht gemeldet?
»Worüber haben Sie sich
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