Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Es hieß, die Stadt sei ein einziger Moloch aus Plattenbauten. Während der Kriege war sie fast vollständig zerstört und später mit Hilfe von ostdeutschen Architekten wieder aufgebaut worden. Ly sah Dung nur ab und an, wenn er auf Heimaturlaub nach Hanoi kam. Jetzt wählte er seine Nummer.
»Hallo Dung? Pham Van Ly hier.«
»Ly, alter Junge, was für eine Überraschung. Wie geht es dir und deiner Familie?«
»Gut, alles gut«, sagte Ly.
»Weshalb rufst du an?« Dung war immer jemand gewesen, der sich nicht mehr als nötig um Höflichkeitsfloskeln scherte.
»Ich brauche Informationen über Tang Van Xuan«, sagte Ly.
»Tang Van Xuan. Leitet der nicht jetzt bei euch den Wasserschutz?«
»Das tut er.« Ly war froh, dass Dung nicht weiter nachfragte, wozu er diese Informationen brauchte. Dung brummte nur einen Moment vor sich hin, dann sagte er: »Irgendwie war da mal was. Bestechung oder so. Kann das sein?«
»Davon steht nichts in seiner Akte.«
»Ach, es war sicher nur das Übliche. Hier ein paar tausendDong, dort ein paar Vergünstigungen. Wer macht das nicht? So schlimm kann es nicht gewesen sein. Immerhin haben sie Xuan nach Hanoi befördert.«
Ly bezweifelte, dass eine Beförderung wirklich ein Argument dafür war, dass jemand keinen Dreck am Stecken hatte.
»Aber ich hör mich um. Ich melde mich«, versprach Dung.
*
Mehrmals rief Ly seine Frau an. Aber sie hatte das Telefon ausgeschaltet. Xuan tauchte erst gegen Mittag auf, was Lys Stimmung nicht gerade verbesserte.
»Auch schon da?«, fuhr Ly ihn an.
»Was hat dich denn gebissen?«
»Ein Mädchen wird vermisst. Wir haben zwei Leichen. Und meine Tochter ist zwischen die Fronten geraten.« Ly war laut geworden.
Xuan hob die Hände. »Okay, verstanden. Aber das Schnellboot war sowieso schon längst weg, als wir dort ankamen.«
Ly trat mit dem Fuß gegen seinen Schreibtisch. »Mach deinen Männern Feuer unter dem Hintern. Sie sollen den Fluss vernünftig patrouillieren. Und sucht dieses Boot.«
Lan öffnete die Tür. »Da wollen zwei Verkehrspolizisten zu dir.«
Das mussten die Typen mit seiner Vespa sein. »Lass sie warten. Oder nein, schick sie weg. Ach, egal, mach einfach, was du willst.«
Lan wartete auf eine Erklärung, die jedoch nicht kam, drehte sich dann auf dem Absatz um und zog die Tür auffallendlaut hinter sich zu. Beleidigte Frauen konnte Ly gerade wirklich nicht gebrauchen. Xuan schaute Lan verdutzt hinterher, dann trat er ans Fenster, blickte hinunter in den Hof und sagte: »Erzähl mir noch mal genau, was gestern Nacht vorgefallen ist.«
Ly gab die Ereignisse detailliert wieder. Er war immer noch aufgebracht, sprach aber schon wieder etwas ruhiger. Als er geendet hatte, fuhr Xuan sich mit der Hand über das Gesicht und fragte: »Konntest du die Männer erkennen?«
»Nein.«
»Hatte das Boot ein Kennzeichen. Eine Flagge? Oder einen Schriftzug?«
Ly schüttelte den Kopf.
»Du sagtest, es sei ohne Licht gefahren. Der Steuermann muss sich also ziemlich gut auf dem Fluss auskennen. Um diese Jahreszeit ist er tückisch. Wahrscheinlich waren es wirklich Schmuggler. Aber ich verstehe nicht, wieso sie euch verfolgt haben. Sie konnten doch nicht wissen, dass du von der Polizei bist.«
»Vielleicht wollten sie uns einfach in Schach halten, um den Schuppen leer zu räumen?«
Xuan kratzte sich am Kopf. Er schien nicht sonderlich überzeugt davon zu sein.
»Was kann mit diesem Lotsengeld gemeint sein?«, fragte Ly.
Irgendetwas in Xuans Miene veränderte sich, ohne dass Ly genau sagen konnte, was. Nachdenklich biss Xuan sich auf die Unterlippe. Es dauerte einen Moment, bis er antwortete: »Es gab da mal so ein Gerücht. Ist schon eine Weile her. Es ging um Typen, die vorbeifahrende Frachterausgenommen haben sollen. Sie haben Geld verlangt, Lotsengeld sollen sie es genannt haben. Es hieß, sie bedrohten jeden, der sich weigerte zu zahlen.«
»Was waren das für Kerle?«
»Das wissen wir nicht. Wir konnten sie nie auf frischer Tat ertappen. Und es gab auch keine einzige konkrete Aussage von einem Schiffer. Ehrlich gesagt, dachten wir irgendwann, es sei alles nur Gerede.«
»Da habt ihr anscheinend falsch gedacht«, erwiderte Ly. Xuan gab ein Murren von sich, verteidigte sich aber nicht.
»Könnten die Morde eine Warnung dieser Erpresser für säumige Schuldner sein?«, fragte Ly.
»Diese Sinh war ja wohl eine Sampanschifferin, keine Frachtschifferin. Was ist da schon zu holen?«
»Und wenn alles irgendwie zusammenhängt?
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