Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
einen Krankenwagen«, sagte die Frau und hastete ins Haus.
Der Minskfahrer lag auf dem Bauch. Ly tastete ihn ab. In der Hosentasche fand er einen Ausweis der Staatsbibliothek. Pham Bao Son. Son. Das musste der Typ sein, der seine Tochter zum Tempel gelockt hatte. Ly griff ihn am Arm und zerrte ihn auf den Rücken. Mit beiden Händen packte er den Helm und zog. Er wollte sein Gesicht sehen. Die Frau, die mittlerweile wieder neben ihm stand, legte ihre Hände auf seine Schulter. »Lassen Sie das, es ist gefährlich.« Ly stieß sie weg. Wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Als er erneut versuchte, diesem Son den Helm vom Kopf zu reißen, waren die Sanitäter eingetroffen und schoben ihn zur Seite.
»Der Mann ist festgenommen«, sagte Ly.
»Wer sind Sie denn?«, fragte einer der Sanitäter.
»Polizei. Er muss in Sicherheitsverwahrung.«
»Der läuft nicht weg. Höchstens ins Jenseits.«
»Scheiße«, murmelte Ly. »Bringen Sie ihn durch!« Er durfte nicht sterben, nicht, bevor er mit ihm gesprochen hatte.
Mit Mühe richtete Ly seine Vespa auf. Die letzten Meter bis zum Präsidium schob er. Sobald er sich auf das Sofa in seinem Büro gelegt hatte, fiel er auch schon in einen bleiernen Schlaf.
*
Vom Kaffeeduft wachte Ly auf. Es fiel ihm schwer, die Lider zu heben. Er tastete seinen Kopf ab und fühlte eine Beule. Der linke Unterarm war angeschwollen, die Schulter hatte auch etwas abgekommen.
Lan saß neben ihm auf der Sofakante. Mit einem Ächzen setzte er sich auf.
»Du musst zum Arzt. Ich mache dir einen Termin im Krankenhaus.«
»Ruf lieber im Militärkrankenhaus 108 an und frag, ob Pham Bao Son noch lebt.«
Lan sah ihn fragend an.
»Der Minskfahrer, der Kerl, der Huong angegangen ist. Ich habe mir gestern ein Rennen mit ihm geliefert.«
Lan legte den Kopf schief und sah ihn missbilligend an. Bevor sie noch etwas sagen konnte, fragte Ly: »Was machst du eigentlich schon wieder hier? Es ist Sonntag. Machst du nie frei?«
Lan setzte ein Lächeln auf. »Doch, lieber Ly. An diesemschönen Tag wollte ich eigentlich mit ein paar Freundinnen shoppen gehen. Aber dann hat mich die Putzfrau angerufen und gesagt, du sähest gar nicht gut aus.«
»Welche Putzfrau?«
»Die junge, nette. Sie hat dich heute früh hier auf dem Sofa entdeckt.«
Ly seufzte. Machten sich mittlerweile alle Sorgen um ihn? Alle, außer seiner Frau.
*
Der zuständige Arzt im Militärkrankenhaus 108 erklärte, Pham Bao Son sei nicht so schwer verletzt, wie es anfangs ausgesehen hatte, aber man habe ihm starke Schmerzmittel verabreicht, und vor morgen könne Ly ihn auf keinen Fall vernehmen. Ly fluchte. Das hieß, einen ganzen Tag warten.
*
Die nächsten Stunden verbrachte Ly an seinem Schreibtisch. Die Bürokraten in der Verwaltung hatten moniert, dass sie bisher keinen Bericht zu den laufenden Ermittlungen erhalten hatten. Ly hielt es für die größte Zeitverschwendung, aber er wusste auch, dass sie keine Ruhe geben würden, bis sie mit Papier gefüttert wurden. Und in seiner heutigen Verfassung bekäme er mehr sowieso nicht auf die Reihe. Einmal noch versuchte er, Thuy anzurufen, erreichte sie aber nicht. Sie gab ihm ja nicht einmal die Chance, sich zu entschuldigen.
*
Seine Schmerzen ließen nicht nach, und am Nachmittag fuhr Ly dann doch zu seinem Arzt in die Hang-Thuoc-Bac, die Gasse der traditonellen Apotheker, die im westlichen Teil der Altstadt lag. Draußen regnete es heftig. Er war sofort durchnässt wie eine Ratte im Hochwasser.
Die Praxis befand sich im dritten Hinterhof eines der alten Häuser. Ly stellte die Vespa im Vorderhaus ab und suchte sich seinen Weg durch das verwinkelte Gebäude. Der alte Mann, der eines der Durchgangszimmer bewohnte, grüßte freundlich, und sie wechselten ein paar Worte. Eine Mutter, die gerade ihr Kleinkind fütterte, war weniger erfreut, dass Ly durch ihr Zimmer stapfte.
Das Praxis-Kabuff, anders konnte man die Bude nicht bezeichnen, war vom süßlich herben Geruch der Medizinkräuter erfüllt. An Schnüren unter der niedrigen Decke hingen getrocknete Pilze, Wurzeln und andere undefinierbare Gegenstände. Ly meinte, eine Bärentatze zu erkennen. Und eine seltsam gehörnte Eidechse. Doktor Song, der Ly zum Gruß zunickte, saß auf einem Holzschemel zwischen dem Apothekenschrank und dem Schrein für den heiligen Tai, den Gott des Wohlstands, der auf dem Boden stand. Vor ihm lagen getrocknete Seepferdchen und aufgerollte Stücke Baumrinde, die er auf einer Tafelwaage abwog und in
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