Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Angst haben, wir könnten es den Chinesen gleichtun und auch Razzien bei unserer Polizei fordern.«
»Die bei der ›Jugend‹ haben sich mit ihrer Berichterstattung immer schon was getraut. Immerhin waren sie es, die dieses staatliche Wirtschaftsinstitut auseinandergenommen haben«, sagte Xuan.
Ly pustete empört Luft aus. Er erinnerte sich gut an den Fall. Mehrere Millionen Dollar Staatsgelder waren veruntreut worden. Ein Großteil floss in Autos, Frauen und Wetten.Allein bei einem einzigen English-Premier-LeagueSpiel zwischen Chelsea und Manchester United gingen 300 000 Dollar verloren. »Ja, und was hat es ihnen gebracht? Die Journalisten, die das recherchiert haben, sind eingebuchtet worden. Wegen Missbrauchs ihrer demokratischen Freiheiten und Propaganda falscher Informationen. Den Wortlaut habe ich noch genau im Ohr«, sagte Ly.
»Hör auf, dich zu ärgern. Aus dem Institut selbst sind auch Leute verurteilt worden.«
»Ja, irgendwelche Handlanger wurden da ans Messer geliefert.«
»So läuft das eben. An die Bosse kommt man nie ran. Und du wirst das auch nicht ändern können«, erklärte Minh und fügte lachend hinzu: »Und ich sage euch, fangt bloß nicht an, Razzien bei unserer Polizei zu machen. Wenn ihr eure Kollegen alle einbuchtet, kommt ihr mit eurer Arbeit gar nicht mehr hinterher.«
*
Es war nach Mitternacht, als Ly endlich aufbrach. Huong schlief längst oben in Minhs Wohnung. Ly ließ sie dort und fuhr allein los.
Er nahm den Weg, der hinter dem Dong-Xuan-Markt entlangführte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Die Obst- und Gemüseabfälle des Tages waren zu kleinen Bergen zusammengeschoben. Ein säuerlicher Geruch stieg auf. In Abständen von mehreren Metern hingen eiserne Lampen, die mehr Schatten warfen, als dass sie Licht spendeten.
Die Vespa knatterte leise vor sich hin. Ly zog eine Zigaretteaus der Vinataba -Packung in seiner Hemdtasche und zündete sie sich im Fahren an. Auf Höhe der Hang-Chieu, der Mattengasse, in der es nach Stroh roch, heulte der Motor einer Minsk auf. Ly fuhr zusammen. Nach seinem Zusammenprall beim Tay-Ho-Tempel hatte er partout kein Bedürfnis, ein russisches Motorrad im Rücken zu haben. Er nahm den Fuß vom Gas, doch der andere Fahrer überholte nicht, sondern bog hinter ihm ab. Ly fuhr die Hang-Giay hinunter, drehte einen kleinen Kreis und stieß auf die Nguyen-Sieu. Die Minsk war wieder da. Jetzt konnte er das Gefühl, verfolgt zu werden, nicht mehr verdrängen. Entgegen der Fahrtrichtung bog er in die Hang-Duong ein, trat das Pedal durch und raste auf den See des zurückgegebenen Schwertes zu. Der Wasserwagen, der nachts die Straßen reinigte, musste eben erst vorbeigekommen sein. Der Bodenbelag war nass. Aber Ly konnte sein Tempo jetzt nicht reduzieren. Die Minsk folgte knapp hinter ihm. Im vierten Gang jagte er um den See und dann die Hauptstraße in Richtung Polizeipräsidium hinunter. Sein Verfolger holte auf und zog gleich. Er trug einen Vollschalenhelm mit heruntergeklapptem Visier. In seiner Hand glänzte etwas Metallisches. Ly riss den Lenker herum und wäre fast auf dem Asphalt gelandet.
Bei der nächsten Möglichkeit wich er seitlich in ein Gewirr kleiner Gassen aus. Auf der breiten Hauptstraße hatte er gegen die stärkere Minsk keine Chance. Planen von Marktständen hauten über seinen Kopf hinweg. Er dachte schon, er hätte die Minsk abgehängt. Doch dann hörte er sie wieder. Diesmal von vorn. Den Mann, der unerwartet vor ihm stand, sah er zu spät.
Als er wieder zu sich kam, lag er am Boden. Sachte bewegteer die Hände, die Arme, die Beine. Es war nichts gebrochen. Wie durch eine Wattewand hörte er eine Stimme. Es war eine weiche Frauenstimme. »Hallo, geht es Ihnen gut?« Dicht vor sich sah er nackte Beine, die unter einem geblümten Bademantel hervorschauten. Die Frau, die zu der Stimme gehörte, war eindeutig nicht mehr die Jüngste. Sie fasste ihn am Arm.
»Nein!« Ly schrie auf. Ihm tat alles weh. Langsam zog er sich an der Hauswand hoch. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Er sah sich um. Auf den Stufen eines Hauseinganges saß ein Mann. Er hatte den Kopf in den Schoß gelegt und war sturzbetrunken. Etwa hundert Meter entfernt lag die Minsk auf dem Weg. Daneben lag ihr Fahrer und rührte sich nicht. »Um Himmels willen, da ist ja noch einer«, rief die Frau und rannte zu ihm hin. Ly folgte ihr mit etwas unsicheren Schritten. Ihm war schwindelig.
»Er sieht ja furchtbar aus. Aber schauen sie, er atmet. Ich rufe
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