Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Männer zum ersten Mal dort aufgetaucht, mit Waffen und schnellen Booten. Ihr Anführer bewegte sich im Hintergrund. Er kam nur bei wichtigen Geschäften auf den Fluss, oder wenn es Ärger gab. Aber alle wussten, dass ervor nichts zurückscheute. Er war ein Machtmensch, der keine Widerrede duldete. Er erklärte den Flussabschnitt vor Hanoi zu seinem Revier. Jeder Frachter, der die Stadt passierte, musste seinen Obolus entrichten. Geld oder notfalls Naturalien. Das war es, was Lotsengeld genannt wurde. Einmal weigerte sich ein Kapitän, sein Soll zu leisten. Einige Tage später war er tot. Offiziell hieß es, es sei ein tragischer Unfall gewesen, der Mann sei betrunken über Bord gefallen. Die Untersuchung wurde eingestellt.
Die Sampanschiffer traf es noch härter als die Frachtschiffer. Ihnen war eine Liegegebühr auferlegt, die so hoch angesetzt war, dass sie sie unmöglich aufbringen konnten. Damit gerieten sie in die Schuld ihrer Erpresser. Und genau das war deren Absicht. Die Sampanschiffer mussten machen, was von ihnen verlangt wurde. Sie mussten Dinge verstecken: Schmuggelware wie Spielzeug, Zigaretten, sogar Opium oder auch Hehlerware wie Motoren oder Radios. Und dann gab es da noch das Geschäft mit den Mädchen.
»In jener Nacht sind sie gekommen, um Hoa mitzunehmen«, sagte Thinh. Das Boot von Sinh und Hoa hatte etwas entfernt vom Ankerplatz der anderen Sampans gelegen. Die Schiffer hatten nur das Motorboot und dann Schreie gehört.
Ly wusste, dass es brutal war, aber er fragte trotzdem: »Wieso haben Sie nicht geholfen?«
»Ich hatte Angst. Erbärmliche Angst«, flüsterte Thinh. Seine Augen flackerten wie bei einem in die Enge getriebenen Tier. »Einer von uns wollte helfen. Es war der junge Mann, den Sie aus dem Fluss gezogen haben. Wir haben versucht, ihn zurückzuhalten. Phu hieß er. Er war nichtganz normal. Kräftig, jedoch geistig etwas zurückgeblieben.«
»Aber mutig«, sagte Ly.
»Mutig. Vielleicht. Oder einfach nur dumm.« Thinh machte eine Pause, bevor er fortfuhr: »Sinh wollte verhindern, dass ihrer kleinen Schwester dasselbe zustößt wie ihr.«
»Was genau war das?« Ly war sich sicher, die Antwort zu kennen, wollte sie aber von diesem Mann bestätigt bekommen.
»Ihre Jungfräulichkeit ist verkauft worden. Und dann wurde sie von einem Bordell ins nächste gereicht. Sinh hat uns angefleht, wir sollten uns endlich zur Wehr setzen, nicht mehr alles mitmachen. Sie sagte, sie hätte einen Plan. Aber die Schiffer haben Sinh nicht vertraut. Sie hatte diese Brandwunden auf dem Handgelenk. Sie schwor, man hätte sie ihr aufgezwungen. Die Schiffer glaubten ihr nicht. Sie dachten, sie sei in Wirklichkeit eine von denen.«
»Und Sie? Was haben Sie geglaubt?«, fragte Ly.
»Ich weiß nicht. Vielleicht wollten diese Männer genau das erreichen. Unser Misstrauen schüren und uns gegen sie aufbringen.«
So leise, dass Ly es kaum hörte, fügte Thinh hinzu, dass Sinh ja bei weitem nicht die Einzige gewesen sei, die verkauft worden war. Viele Töchter waren geholt worden.
Ly hatte es geahnt. Die Eltern hatten nicht einmal den Mut gehabt, ihre eigenen Kinder zu verteidigen. Thinh zog die Schultern hoch. Falten kräuselten sich auf seiner Stirn. »Es war schlimm für die Mädchen, aber sie haben auch Geld verdient. Diese Männer haben nicht alles behalten. Ein bisschen blieb immer für die Familie übrig.«
»Was ist in jener Nacht passiert? Wo haben sie Hoa hingebracht?«, fragte Ly.
»Sie ist entkommen. Erst einmal zumindest. Die Männer haben auf unseren Sampans nach ihr gesucht. Aber so dumm war sie nicht. Sie hat sich hier, in dieser Pagode, versteckt. Die Mönche haben sie eines Morgens in einer Nische hinter dem Altarraum gefunden.« Thinhs Anspannung schien sich langsam etwas zu legen. Aus seinem Gesichtsausdruck war die Angst gewichen, die ihn bisher begleitet hatte. Ly sah jetzt vor allem Zorn.
»Wussten Sie die ganze Zeit, wo Hoa war?«, fragte Ly.
Thinh schüttelte den Kopf. Die Mönche hatten den Schiffern erst eine Nachricht zukommen lassen, als Hoa aus der Pagode verschwunden war. Sie dachten, vielleicht sei sie zurück zum Fluss gegangen. Sie machten sich Sorgen. Aber bei den Booten war sie nicht. Und nun war sie tot. Tränen standen in Thinhs Augen.
»Was wollten Sie auf der Brücke von mir?«, fragte Ly.
»Mit Ihnen reden. Ich hatte mich umgehört. Sie haben den Ruf, ein guter Mann zu sein.«
»Aber?«
»Diese Motorradfahrer. Mich hat der Mut verlassen.«
»Und wieso
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