Schwarze Schilde
sich wie eine Wasserfontäne ausbreitete. Ein eigentümlicher Geruch lag in der Luft, aber der Wind trieb den größten Teil der Asche von ihrem Lager fort. In dieser Nacht fanden sie nur wenig Schlaf.
Sie setzten die Reise des Morgens fort und entfernten sich allmählich von dem feuerspeienden Berg. Hael interessierte sich jetzt bedeutend mehr für Wasserstellen als für ungewöhnliche Erhebungen. Die von Unkraut überwucherten Wasserlöcher wurden seltener. Die Männer schrieben es dem rauchenden Berg zu, aber Hael konnte keine Zusammenhänge entdecken. Ihm graute davor, kein frisches Wasser mehr zu entdecken.
Das Wetter blieb mild. Wären sie im Hochsommer gereist, wäre die Hitze unerträglich gewesen. Tiefe Rinnen zogen sich durch den Boden und ließen darauf schließen, dass der Regen – wenn er denn einmal fiel – gleich in Strömen niederging.
Am zweiten Tag, nachdem sie den Berg hinter sich gelassen hatten, kehrten aufgeregte Späher zurück. Die Cabos ließen die Köpfe hängen. Die letzte Wasserstelle war kaum mehr als ein Schlammloch gewesen, und die Männer mussten Löcher in den Boden graben und warten, bis sie sich mit Wasser füllten. Die Tiere hatten nur wenig bekommen, die Reiter überhaupt nichts.
»Ein Wasserloch!« schrie ein Amsispäher. »Und zwar ein ausgesprochen eigenartiges!«
Verwundert ritt Hael der Vorhut voraus. Ein paar Meilen weiter folgte er dem Späher in ein geschützt liegendes Tal, wo sich ihm ein überraschender Anblick bot. Vor ihm, auf dem Grund des Tales, breitete sich über mehrere hundert Schritt eine Grünfläche aus. Überall wuchs Gras und standen Bäume mit seltsam buschigen Wipfeln herum. Dann witterte sein Cabo das Wasser, und er musste sich anstrengen, es zurückzuhalten.
Hael ritt in den Schatten der Bäume und roch den Duft der Blumen und Pflanzen, der würzig und angenehm in der Luft lag. Insekten summten um herabgefallene Früchte herum. Das Plätschern von Wasser war zu hören. Es handelte sich nicht einfach nur um fließendes, sondern um herabfallendes Wasser. Ein seltsamer Ort für einen Wasserfall, wie klein er auch sein mochte.
»Hier, mein König, seht Euch das an«, sagte der Späher und trieb sein Cabo zwischen zwei mannshohen Sträuchern hindurch. Hael folgte ihm. Dahinter lag die Wasserstelle, und Hael parierte sein Cabo durch und starrte entgeistert auf den Fund. Diese Wüste entpuppte sich als Ort voller Wunder. Vor ihm lag kein Wasserloch, sondern ein von Menschenhand gefertigtes Becken. Es war genau rechteckig, etwa hundert Schritt lang und fünfzig Schritt breit. Die Seiten waren aus Stein gehauen und fielen schräg zur etliche Fuß tiefer liegenden Wasseroberfläche ab. Hael nahm an, so sollte verhindert werden, dass Tiere hineinfielen, ertranken und das Wasser verseuchten. Das Wasser selbst war kristallklar, und Hael gestattete seinem Cabo, den kleinen Abhang hinabzugehen und zu trinken.
Noch seltsamer als das Becken war die große Statue am anderen Ende. Sie bestand aus weißem Stein und hatte die Gestalt einer nackten, knienden Frau. Auf der Schulter hielt sie einen Krug, aus dem das Wasser in das Becken sprudelte. Ihr ernstes, wunderschönes Gesicht blickte über das Wasser hinweg. Als sein Cabo den Durst gestillt hatte, ritt Hael zu der Statue hinüber und betrachtete sie genauer.
Sie war aus hartem weißen Stein geschlagen, wie er ihn nie zuvor gesehen hatte. Falls die Figur aus verschiedenen Steinblöcken zusammengesetzt worden war, vermochte man jedoch keine Fugen zu entdecken. Aus der Nähe war zu sehen, dass die Oberfläche nicht glatt, sondern leicht verwittert und rau geworden war. Wie viele Jahrhunderte mochte sie hier gestanden, besser gesagt: gekniet haben? Er ließ die Finger über eines der Beine gleiten und spürte, dass sie sehr alt sein musste. Die Arbeit war keineswegs so grob, ungeschlacht und furchteinflößend wie der Riese, der am Eingang des Passes stand. Ob beide Figuren vom gleichen Volk stammten? Hael glaubte nicht daran. Hier waren keine Schriftzeichen oder Hinweise zu sehen. Warum hatte man die Statue hier aufgestellt? War es das Abbild einer Göttin? Ein Geist der Quelle, die so fröhlich aus dem Krug strömte? Oder war es nur eine kunstvolle Figur, die von Leuten aufgestellt wurde, die sich an ihrer Schönheit erfreuten? Er wusste, dass er es nie erfahren würde, und dieser Gedanke stimmte ihn traurig. Die Wüste barg viele Geheimnisse, die er größtenteils gar nicht zu Gesicht bekommen, geschweige denn
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