Schwarze Schmetterlinge
erreichen, aber sie saß in einer Konferenz. Er hinterließ seine Handynummer und bat sie, ihn so schnell wie möglich anzurufen.
Dann blieb er am Küchentisch sitzen. Eingeschlossen zwischen Erinnerungen, die die Gerüche seiner Kindheit auslösten. Er saß immer noch am selben Platz am Tisch wie damals als kleiner Junge. Zwei Stühle waren leer. Das Radio auf der Spüle plapperte vor sich hin. Das knarrende Geräusch des Holzbodens im Flur, das noch genauso klang wie damals. Er erinnerte sich, wie er manchmal spät nach Hause gekommen war und versuchte hatte, das Knarren der Dielen zu vermeiden. Britts erschrockene Gestalt, wenn er falsch aufgetreten war. »Weißt du, wie spät es ist? Wo warst du? Kannst du dir nicht denken, dass wir uns Sorgen machen?« Und seine Antwort: »Aber Mama, ich bin doch neunzehn Jahre alt!« Wieder Britts Stimme: »Dein Vater und ich haben deinetwegen die ganze Nacht wach gelegen.« In diesem Moment wünschte er sich seine Mutter zurück, ihre Wärme und Fürsorge. Am Vormittag hatte er sie im Altersheim besucht und eine Tüte Wäsche mit nach Hause bekommen, die Anweisung, eine neue Zahnbürste zu kaufen und Geld für einen Friseurbesuch mitzubringen. Das hatte Folke früher alles erledigt. Man rechnete auf die Beteiligung der Angehörigen.
Die Gegenstände und Fotos im Bücherregal wurden mit jedem Tag verstaubter. Die Kupfertöpfe auf dem Regal im Flur, die sie jedes Jahr zu Weihnachten geputzt hatte, würden nie mehr glänzen. Die Dinge in seinem Elternhaus brachten seine Erinnerungen ans Licht. Der geblümte Überwurf im Schlafzimmer der Eltern war so intim mit dem Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit verknüpft. Im Handarbeitsunterricht in der Schule hatten sie ihn immer geneckt, weil er stets geblümte Stoffe auswählte. Die Stimmen von damals kamen und gingen. »Vielleicht solltest du dir mal einen geblümten Rock nähen, Per!« Die Stimmen hallten zwischen den Wänden wider und in der Leere, die er in seinem Innern trug. Er musste raus und unter Leute, ehe er völlig verrückt wurde.
Immer noch kein Anruf von Maria. Wurde er jetzt wahnsinnig? Bildete er sich Sachen ein? Das, was ihm eben noch wichtig und dringend vorgekommen war, löste sich in eine unhaltbare Chimäre auf. Du bist in Gefahr, Maria. Der große, starke Arvidsson wird dich beschützen. Bei näherer Betrachtung schien das ein Fall von Wunschdenken zu sein. Er schämte sich. Was würde er jetzt sagen, wenn sie anrief? Er wusste es nicht. Die Mutlosigkeit, die daher rührte, dass er nicht mehr im Dienst war, hatte ihn bisher davon abgehalten, Felicias Bruder, Hampus Eriksson, aufzusuchen. Aber irgendetwas musste er schließlich tun, wenn er nicht den Verstand verlieren wollte.
Per Arvidsson parkte vor dem Lebensmittelladen in Björkavi und ging zu Fuß zu den Mietshäusern hinüber. Hampus Eriksson wohnte in der Storgatan 37, Erdgeschoss. Die Tür wurde von einem Teenagermädchen, das am Handy hing, geöffnet. Sie trug das Haar in Rastazöpfen, hatte eine große Perle in der Nase, und ihr kurzes Oberteil gab einen Blick auf ihren nackten Bauch frei. Er stellte sich vor.
»Ich möchte zu Hampus Eriksson.«
»Was?«
»Ist dein Vater da?«
»Was? Welcher Vater? Ich arbeite hier als persönliche Assistentin von Hampus.« Das junge Mädchen lachte laut und entblößte dabei eine Zahnspange. »Hampus! Du hast Besuch. Schon wieder!«
Zu Per gewandt sagte sie: »Wenn Sie Versicherungen verkaufen, dann wird er scheißwütend.«
»Gabriella gehört zu meinen ständigen … Gesellschaftsdamen … Derzeit habe ich acht Stück davon …« Hampus Eriksson rollte heran und grüßte mit einer leichten Kopfbewegung. Seine Stimme war sehr schwach und ertrank fast in dem elektrischen Surren des Rollstuhls und den zischenden Schläuchen des Beatmungsgerätes. Er sprach in kurzen Sätzen, so lange, wie die Luft reichte. »Sind Sie von der Polizei … oder von der Einheit für Hirnschäden …? Man kriegt nicht mehr sonderlich viel Besuch … Das Interesse der Leute an einem schläft ein … wenn sie keinen Nutzen mehr von einem haben … Aber ich sollte nicht klagen … Ich habe Gesellschaftsdamen bekommen … als Kompensation. Die tun alles für mich … was die Sozialstation für notwendig erachtet … Was wollen Sie?«
»Ich will über Rebecka reden. Ihre Schwester und ich, wir kannten uns.«
»Ach, mein Gott … Sagen Sie nichts … Ich verstehe … dann sind Sie
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