Schwarze Schmetterlinge
Taube müsste für den Heiligen Geist stehen. Der Rest erinnert mich am ehesten an Spielzeug.«
»Und schau mal, die beiden nackten Figuren in den oberen Ecken. Was könnten die darstellen?« Arvidsson legte beide Arme um Felicia, die in ihrem dünnen Mantel vor Kälte zitterte. Sein Mund suchte sich von der Stirn über die Wange hinunter zu ihrem Mund. Sie stellte sich auf Zehenspitzen und kam auf ihn zu. Er musste innerlich lachen und dachte an Lenas Rorschachtest. Dann dachte er eine ganze Weile gar nichts mehr.
»Die beiden sehen aus wie ein Mann und eine Frau. Sie spielen mit dem Feuer«, sagte Felicia schließlich.
Ihre Brust leuchtete weiß in dem Mondlicht, das durch sein Fenster im dreizehnten Stock fiel. Ihre Augen glänzten schwarz mit unendlich großen Pupillen. Die Narbe auf ihrer Oberlippe war in dem schwachen Licht nur als schmaler Strich zu erkennen.
»Nein, mach das Licht nicht an.« Felicia fing seine Hand ab. Küsste seine Finger.
»Ich will dich sehen.« Per strich eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war, beiseite und hielt ihre beiden Wangen in seinen Händen. »Wir können die Kerze auf dem Schreibtisch anzünden, wenn du willst. Bist du schüchtern?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich habe nur etwas Besonderes vor.«
»Hm, klingt spannend.«
»Der Mensch ist ein Wesen des Tages. Der dominierende Sinn ist das Sehen. Erst wenn man nicht sieht …« Felicias weiche Hände legten sich über seine Augen. »… kann man sich auf das Gefühl konzentrieren.« Vorsichtig berührte sie mit ihren Fingerspitzen die Innenseiten seines Unterarms und schrieb mit den Fingern die Worte »Liebe dich«, ehe sie seine Hand nahm und ihn vorsichtig zum Bett führte und ihn mit geübten Händen auszog. »Ein einziger Quadratzentimeter Haut enthält fünftausend Berührungsrezeptoren. Das Gehirn ist die stärkste erogene Zone des Körpers. Schließ die Augen.«
»Ist das ein Experiment?«
»Nein, Wissenschaft und Erfahrung.« Er hörte das Lachen in ihrer Stimme. »Schließ die Augen und fühl einfach. Ich wärme Öl in meinen Händen und beginne außen, wo sich weniger Berührungsrezeptoren befinden. Dann arbeite ich mich bis zum Brennpunkt vor …«
Als Per Arvidsson mehrere Stunden später ermattet und sehr glücklich in die Dunkelheit starrte und ihren ruhigen Atemzügen lauschte, dachte er an das Wort Sehnsucht. »Ich habe mich mein ganzes Leben lang nach dir gesehnt, ohne es zu wissen«, das hatte er ihr ins Ohr geflüstert. »Ich habe mich nach dir gesehnt und dich vermisst, ohne zu wissen, dass du es warst.« Vielleicht musste man erst Sehnsucht empfinden, um etwas voll und ganz würdigen zu können. Wie nach einer wahnsinnigen Nachtschicht, wenn man endlich schlafen darf und sich so nach Schlaf sehnt, dass der ganze Körper vor Müdigkeit schmerzt. Oder wenn man sich nach Stunden des steilen Aufstiegs in sengender Sonne an einem eiskalten und klaren Bergbach niederlassen, seinen Krug mit Wasser füllen und den Durst stillen darf. So hatte er sich nach einer Frau in seinem Leben gesehnt. Mit diesem Gedanken fiel er in einen tiefen Schlaf.
Als er die Augen öffnete, war es immer noch dunkel. Er horchte auf ihre Atemzüge, konnte aber nichts hören. Plötzlich hellwach, tastete er nach ihr. Das Bett war leer. Er warf die Decke beiseite und stand auf. Könnte es sein, dass sie gegangen war, ohne dass er es bemerkt hatte? War alles, was geschehen war, zu schön, um wahr zu sein? Er warf einen Blick auf den Wecker. Viertel vor vier. Felicia war nicht in der Küche. Sie hatte auch keinen Zettel hinterlassen. Als Per in den Flur ging, um zu sehen, ob sie ihre Kleider mitgenommen hatte, sah er ein schwaches Licht, das unter der Badezimmertür hervordrang. Er machte sie einen Spalt auf und sah sie mit dem Kerzenständer vor dem Spiegel stehen. Das Licht warf ihr seltsame Schatten ins Gesicht, und die Flamme wurde wie ein kleines, gelbes Messer in den geweiteten Pupillen ihrer Augen reflektiert. Sie stand ganz still, hörte ihn nicht. Ihr Blick war auf einen Punkt weit hinter dem Glas fixiert.
»Felicia?«
Sie drehte sich langsam um.
»Felicia, bist du richtig wach?«, fragte er und versuchte, sie in den Arm zu nehmen. Sie wehrte sich, hielt die Kerze vor sich und sah ihn einen Moment lang erstaunt an.
»Ich wollte die Lampe nicht anmachen, um dich nicht zu wecken.«
16
Den ganzen Tag lang hatte der Gedanke,
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