Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
draußen, obwohl sie aus Leibeskräften schob und drückte. Die Haube ließ sich nur halbwegs schließen. Fieberhaft, aber vergeblich hielt sie Ausschau nach einem Stück Schnur. Aber sie hatte ein grünes Abschleppseil aus Nylon. Sie zog die Rolle mit zitternden Fingern auf. Das Rad mußte zu ihr nach Hause, es gehörte Ida! Das Blut rauschte durch ihren Kopf, als sie plötzlich Schritte hörte. Erschrocken richtete sie sich auf. Aus irgendeinem Grund kam sie sich vor wie eine Diebin. Sie sah einen älteren Mann, der auf ihr Auto zukam.
»Sie brauchen offenbar Hilfe«, sagte er mit schroffer Stimme.
Helga umklammerte das Seil. »Ich muß dieses Rad nach Hause schaffen!« sagte sie.
Der Mann schaute in den Kofferraum.
»Da ist nicht genug Platz«, stellte er fest. »Sie fahren einen Peugeot 306.«
»Das weiß ich«, sagte sie gestreßt. »Ein Teil hängt heraus. Aber ich habe ein Seil.«
Er griff danach, um ihr zu helfen. »Müssen Sie denn weit fahren?«
»Ich muß nach Hause«, wiederholte sie.
»Und wo ist zu Hause?«
Er war energisch und tatkräftig. Einer, der immer eingriff und sich kümmerte, mit einem ganz selbstverständlichen Recht. Helga war erleichtert. Ließ die Arme hängen, ließ ihn die Führung an sich reißen und für Ordnung sorgen.
»Glassblåservei. Ich fahre vorsichtig.«
»Das werden Sie auch müssen. Ich fürchte, Sie müssen mit Kratzern im Lack rechnen, wenn Sie sich nicht vorsehen. Aber da sind ja schon welche«, sagte er und zeigte auf die Spuren des Einkaufswagens.
»Der Lack ist mir egal«, sagte Helga rasch, sie betrachtete ihn nervös, während er sich am Seil zu schaffen machte. Sie wußte nicht, ob er sie erkannt hatte, ob er wußte, was passiert war. Ob das gelbe Fahrrad ihn auf irgendwelche Gedanken brachte. Aber er war tüchtig. Er machte das offenbar nicht zum ersten Mal. Sie musterte die Knoten und dachte, nie im Leben kriege ich die wieder auf. Aber dann nehme ich eben ein Messer. Endlich war der Mann zufrieden. Er rüttelte am Lenker, aber der bewegte sich kaum. Sie bedankte sich. Danach fuhr sie rasch und achtlos zurück. Zu Hause zerschnitt sie das Seil mit einer Gartenschere, die sie aus der Garage geholt hatte. Sie mühte sich mit dem Rad die Treppe hoch. Wollte es in den Flur stellen. Und dort vertiefte sie sich in seinen Anblick. Es tat gut, das Rad wieder zu Hause zu haben. Jetzt fehlte nur noch Ida. Sie ging zum Telefon und wählte Sejers Nummer.
»Ich habe Idas Rad gefunden«, sagte sie.
Später stand er in ihrer Diele. Er betrachtete das gelbe Rad und versuchte, taktvoll zu sein.
»Warum sind Sie sich so sicher?« fragte er.
Sie stand zitternd und entschlossen vor ihm. Mit entschiedener Miene.
»Weil ich es gekauft habe«, sagte sie. »Im Sportshuset. Das hier ist Idas Rad. Ich sehe es an der Sitzeinstellung, ganz unten, und am Lenker, der etwas höher gestellt wurde, damit sie sich nicht vornüber hängen mußte. Ich sehe es, weil es neu ist und keine Aufkleber aufweist. Ich habe Ida nämlich nie erlaubt, welche anzubringen.«
»Ich wünschte, das hätten Sie«, sagte Sejer. »Ein einziger Aufkleber hätte mich schon überzeugt. Hat jemand in dem Haus Sie gehört, als Sie es geholt haben?«
»Ich glaube nicht.«
Er musterte sie eindringlich. »Wenn das wirklich Idas Rad ist und wenn die Leute in der Røyskattlia etwas zu verbergen haben, können sie leugnen, daß es jemals auf ihrem Grundstück gestanden hat. Ist Ihnen das klar?«
Sie kniff den Mund zusammen und starrte trotzig zu Boden. »Es war mein gutes Recht, es mitzunehmen. Es gehört Ida.«
»Ich werde mit den Leuten sprechen«, sagte er, jetzt sanfter. »Aber ich bitte Sie trotzdem, darauf vorbereitet zu sein, daß Sie sich vielleicht irren. Wenn die anderen eine Quittung für das Rad vorweisen können, dann bedeutet das, daß sie es für ihre Tochter angeschafft haben. Es ist eine sehr beliebte Marke. Und viele nehmen ein gelbes.«
»Sie hatte ein schlechtes Gewissen«, sagte Helga. »Das war deutlich zu sehen.«
Sejer konnte sich vorstellen, wie sehr ein kleines Mädchen sich fürchten mußte, wenn eine verzweifelte Frau wie Helga Joner angestürzt kam und es anschrie.
»Was ist mit der Rahmennummer?« fragte er gelassen. »Alle Räder haben eine Nummer. Beim Kauf haben Sie sicher eine Registrierkarte bekommen. Können Sie sich daran erinnern?«
Sie runzelte die Stirn. »Ja«, sagte sie. »Aber ich muß erst suchen.«
Sie verschwand in der Küche. Sejer entdeckte die Nummer
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