Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
auch gar nicht«, sagte er ruhig. »Und ich kann Ihnen mitteilen, daß das Rad entfernt worden ist. Von der Person, die Hanne gefolgt ist. Du hast sie gesehen, nicht wahr? Sie hat dir hinterhergerufen?«
»Ja«, sagte Hanne. Sie starrte noch immer zu Boden. Ihre Hände machten sich am Gürtel ihres Bademantels zu schaffen.
»Warum hast du nicht angehalten?«
»Ich war so erschrocken«, sagte sie. Ihre Stimme war fast nicht zu hören. Sejer trat auf sie zu. »Du mußt mir genau erzählen, wo du das Rad gefunden hast.«
Wieder verstummte Hanne.
»Aber was ist denn mit diesem Rad?« fragte die Mutter. Sejer sah die Eltern an.
»Sie wissen also nicht, woher das Rad stammt?«
»Sie ist gestern damit nach Hause gekommen«, sagte der Vater. »Hatte eine Freundin besucht und durfte es ausleihen. Wir haben ihr gesagt, daß sie nicht damit losfahren soll, ohne uns Bescheid zu sagen. Deshalb waren wir wütend auf sie. Die Freundin heißt Karianne. Sie wohnt zwei Minuten von hier.«
»Das Rad gehört der vermißten Ida Joner«, sagte Sejer. »Wir haben die Rahmennummer überprüft. Die Frau, die Hanne gefolgt ist, ist Ida Joners Mutter. Sie hat das Rad erkannt.«
Frau Heide schlug die Hand vor den Mund.
»Herrgott, Herrgott«, rief sie. »Wo hast du das Rad gefunden? Du hast doch gesagt, es gehört Karianne. Lügst du uns an, Hanne?«
Hanne brach in Tränen aus. Sejer streichelte ihren Arm.
»Nimm es nicht so schwer. Vielleicht hast du dir ein Rad gewünscht?«
»Ja«, schluchzte sie.
»Hör mal gut zu.« Sejer versuchte, ihren Blick einzufangen, aber das war nicht leicht. »Du bist jetzt sehr wichtig für mich. Ich muß herausfinden, was mit Ida Joner passiert ist. Vielleicht kannst du mir helfen. Wenn du mir sagst, wo du das Rad gefunden hast.«
Sie zitterte.
»Nein!« rief sie.
»Willst du nicht?«
Sie versteckte ihr Gesicht hinter ihrer zerzausten roten Mähne. Die Mutter war verlegen und verzweifelt. »Das mußt du aber, Hanne, versteh das doch.«
Der Vater stand ratlos dabei. Widersprüchliche Gedanken jagten durch seinen Kopf.
»Aber ist es wirklich dasselbe Rad?« fragte er ungläubig. »Sind Sie sich da ganz sicher?«
Sejer nickte. Er schaute das verzweifelte Mädchen an. So ein kleines Wesen kann doch nicht unbegrenzten Widerstand leisten, dachte er. Klar bringen wir dich zum Reden, Hanne. Das dauert nur seine Zeit. Ein paar Minuten vielleicht.
Sie bewegte sich noch immer nicht. Ihre Mutter konnte ihre Befürchtungen nicht verbergen.
»Hanne! Du machst mir angst! Hast du das Rad gestohlen? Jetzt antworte endlich.«
Hanne war wie gelähmt.
»Ich würde das unter keinen Umständen als Diebstahl betrachten«, sagte Sejer lächelnd. »Sag einfach, wo du es gefunden hast, dann ist der Fall erledigt.«
»Es lag einfach da. Am Straßenrand«, sagte sie. »Hinter einem Transformatorhäuschen.«
»Hier, in der Siedlung?«
»Ganz unten in der Ekornlia. Da, wo die Straße endet.«
»Und du hast es gestern gefunden?«
»Ja. Zuerst dachte ich, es sei ein altes Rad, das jemand weggeworfen hatte. Aber es war ganz neu. Ich wollte nur ein Stück fahren und es dann wieder hinlegen. Aber das habe ich mir anders überlegt. Deshalb bin ich heute damit zum Laden gefahren. Und da kam diese Frau und fing an zu schreien. Und ich hatte doch keine Ahnung, warum das Rad sie so schrecklich aufregte.«
Sie schluchzte wieder, aber eher vor Erleichterung, weil sie jetzt alles gesagt hatte.
Sejer nickte.
»Ja«, sagte er. »Dieses Rad regt uns schrecklich auf. Und jetzt weißt du, warum. Kennst du Ida Joner?«
»Ich weiß, wer sie ist«, sagte Hanne. »Aber ich gehe in die siebte Klasse. Mit denen aus der fünften haben wir nichts zu tun.«
»Das ist klar«, sagte Sejer.
»Man kann nicht einfach so ein Fahrrad mitnehmen«, sagte der Vater in dem Versuch, eine Art Ordnung zu schaffen. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. »Du konntest dir doch denken, daß es jemandem gehört. Und du hast gesagt, du hättest es geliehen. Du darfst uns nicht anlügen!«
Hanne krümmte sich zusammen. »Aber es lag einfach nur da. Am Straßenrand«, flüsterte sie.
Sejer streichelte ihre Schulter. »Ich freue mich jedenfalls sehr darüber, daß du es gefunden hast«, sagte er. »Wir haben so danach gesucht.«
Er verabschiedete sich und fuhr durch die Siedlung, bis er die Ekornlia gefunden hatte. Bald darauf sah er das Transformatorhäuschen. Es lag ganz am Rand der Bebauung, dahinter zogen sich Äcker hin. Es war zu dunkel zum
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