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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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begleiten, und sie wollte es auch gar nicht. Sie hatte weder das Recht dazu noch Lust darauf.
    Sie seufzte leise und ging wieder. Schloß die Tür so lautlos wie möglich und ging ins Wohnzimmer, wo Sverre, ihr Mann, sich über ein Kreuzworträtsel beugte.
    »Leid«, sagte er. »Mit zwölf Buchstaben.«
    »Verzweiflung vielleicht«, sagte sie leise.
    Er schaute auf. »Hat das zwölf Buchstaben?«
    »Keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Schultern. Ihr Mann fing an zu zählen.
    »Mit Tomme stimmt etwas nicht«, sagte sie und sah ihn an. Trotzig.
    »Wie meinst du das?«
    Er legte die Zeitung beiseite, nachdem er das Wort mit dem Bleistift eingetragen hatte. Danach schnupperte er am Radiergummi herum.
    »Irgend etwas macht ihm zu schaffen.«
    Er widersprach nicht. Er war nicht viel zu Hause. Sein schlechtes Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dann streckte er den Arm aus und winkte sie zu sich. Sie setzte sich auf die Sessellehne.
    »Also los, Mütterchen«, sagte er. »Raus damit.«
    »Etwas quält ihn«, sagte sie. »Marion hat erzählt, daß er nachts weint.«
    »Ja«, sagte er. »Es ist ja auch soviel passiert. Du und ich und Marion sind deshalb verzweifelt. Und Tomme sicher auch. Auch wenn er niemals mit Ida zusammen war.«
    »Ist«, korrigierte sie. »Niemals mit Ida zusammen ist. Wir wissen ja nicht, was passiert ist.«
    Er streichelte ihren Arm. »Können wir nicht hier in diesem Zimmer ehrlich sein? Das Hoffen macht so müde. Du glaubst doch wohl nicht, daß Ida noch lebt? Nach der langen Zeit?«
    »Nein«, sagte sie.
    Sie schwiegen eine Weile. Danach blickte sie ihn bittend an.
    »Du mußt mit Tomme sprechen.«
    Er nickte. »Wird gemacht«, versprach er. »Gleich morgen.«
    *

W ILLY O TERHALS WAR älter als Tomme, größer als Tomme. Er war auch klüger. Hatte größeres Selbstvertrauen. Hatte mehr Geld und mehr Ideen. Er nahm alles mit, was das Leben ihm bieten konnte. Aber er war durchaus nicht faul. Jetzt kochte es in seinem Nylonoverall. Der glatte Stoff atmete nicht, der Schweiß klebte ihm am ganzen Leib. Er strich sich mit übertrieben müder Geste die Haare aus der Stirn. Tomme sollte ruhig sehen, wie diese Aufgabe an seinem Können und seinen Kräften zehrte.
    Tomme selbst hielt einen Eimer in der Hand. Er sah den Kotflügel an. Endlich saß der wieder an Ort und Stelle und wölbte sich glatt und schön und ohne einen einzigen Schatten oder Kratzer.
    »Verdammt toll«, sagte er glücklich. Ihm standen die Tränen in den Augen.
    »Jetzt kannst du ihn waschen«, sagte Willy zufrieden.
    Tomme nickte. In ihm herrschte eine stille Freude darüber, daß sein Wagen wiederhergestellt war. Er tauchte den Schwamm konzentriert ins Wasser und ließ das Putzmittel aufschäumen. Seifte das Autodach ein, reckte sich aus Leibeskräften, um die Mitte zu erreichen. Er wollte keine Beulen, keine Kratzer, keinen Dreck oder Schmutz. Er rieb wütend drauflos, steigerte sich in diese Aufgabe hinein, sein Arm beschrieb große Kreise, der Schmutz lief über die Fenster. Weil sein Wagen ganz war, fühlte auch er sich wieder ganz. In ihm schien alles zur Ruhe zu kommen.
    »Gibt’s sonst was Neues?« fragte Willy neugierig. Er lehnte demonstrativ entspannt an der Wand und gab sich Feuer. Jetzt konnte er sich ausruhen, und der andere sollte ruhig ein wenig schwitzen. Er blickte Tomme forschend an. Die rhythmischen Schwammbewegungen hörten auf, aber Tomme schaute sich nicht um.
    »Was denn Neues?« fragte er kurz.
    Willy zog mit hohlen Wangen an der Zigarette. Er hielt sie wie eine Kippe zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Ach, einfach so«, sagte er. »Du weißt, was ich meine.«
    »Du mußt die Zeitungen lesen«, sagte Tomme. »Die wissen mehr als ich. Aber offenbar haben sie ihr Rad gefunden.«
    Er sprach nur widerwillig über seine Kusine Ida. Der Schwamm bewegte sich jetzt wieder, diesmal schneller. »Ich kann doch verdammt nochmal auch nichts daran ändern!« rief er.
    Das sagte er mit aufrichtiger Verzweiflung und auch einem Gutteil Trotz. Dann beruhigte er sich wieder. Er dachte an die vielen Tage, die seither vergangen waren. Bei Tageslicht kam er zurecht, wenn die vertrauten Geräusche durch seinen Kopf zogen. Abends hatte er den Computer. Regale voller Filme und Musik aller Art. Immer etwas, in dem er verschwinden konnte. Aber nachts, in Dunkelheit und Stille, schrumpfte er unter seiner Decke zusammen und wurde winzigklein. Wenn seine Gedanken sich auf nichts konzentrieren konnten, jagten sie in alle Richtungen

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