Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
davon, zu den entsetzlichsten Orten. Es kam vor, daß er Idas Stimme hörte, oder ihr Kichern. Und es blieb ihm unbegreiflich, daß sie nie mehr in ihr Haus kommen würde. Beim Wagenwaschen horchte er die ganze Zeit. Er horchte auf Willys Schritte über den Garagenboden. Willy schlurfte. Seine Schuhe waren verschlissen und unvorstellbar schmutzig. Tommes eigene waren naß vom Wasser, das vom Wagendach lief. Er spürte, wie in seiner Schläfe sein Puls schlug. Die Adern am Arm zeichneten sich deutlich unter seiner Haut ab, weil er den Schwamm so fest hielt.
»Zur Not kann ich Typen verstehen, die sich über erwachsene Frauen hermachen. Oder Teenies. Die sie einfach zu Boden reißen.« Sagte Willy. Er war ganz auf seine Gedanken konzentriert. »Ich kann sogar die Panik verstehen. Daß sie sie danach einfach abmurksen.«
Tomme hörte zu und arbeitete heftig mit dem Schwamm.
»Aber kleine Mädchen«, sagte Willy jetzt. »Was wollen sie mit denen? Warum rasten sie aus und mißhandeln sie auf jede mögliche Weise? Als Kind quälen wir doch Katzen und Regenwürmer, um es ein für allemal hinter uns zu bringen. Vielleicht durften die als Kinder keine Katzen und Regenwürmer quälen. Ich habe von einem Kerl gehört, der ein Mädchen in sein Auto gezogen hat. Er hat all sein Werkzeug benutzt, ehe er zufrieden war. Hat den ganzen Werkzeugkasten durchprobiert und ist mit Schraubenzieher und Hammer und Wagenheber auf sie losgegangen, um möglichst viel kaputtzumachen, und sie war in verdammt schlechtem Zustand, als sie sie gefunden haben, um das mal so zu sagen. Solche Leute sind doch krank. Die kann man doch nur einsperren. Oder ihnen einen Genickschuß verpassen. Ja, echt«, sagte Willy und verstummte, denn Tomme starrte ihn mit brennendem Blick an. Seine Hand krampfte sich um den Schwamm.
»Halt endlich die Fresse!« schrie er. Sein Schwamm und seine Stirn tropften, das Wasser drang in seine Turnschuhe ein, er konnte nicht klar sehen.
»Du redest hier über meine Kusine!« brüllte er mit heiserer Stimme. Die Stimme hatte nie viel Kraft gehabt, und bei dieser Anstrengung verlor sie auch den letzten Rest.
Willy runzelte die Stirn. »Ich rede doch nicht über deine Kusine. So war das nicht gemeint.«
Sie starrten einander wütend an. Willy hatte noch nie erlebt, daß Tomme dermaßen die Fassung verlor. Er wich ein wenig zurück.
»Manche kommen ja leichter davon«, sagte er. »Manche werden ja nur… du weißt schon.«
Er breitete die Arme aus, wie um sich zu entschuldigen.
Tomme keuchte noch immer nach seinem Wutausbruch. Er hätte schreien mögen. Und Willy den Schwamm ins Gesicht knallen. In seine schmale Fresse, daß die Seife nur so spritzte. Aber er traute sich nicht.
»Reg dich ab«, sagte Willy vorsichtig. Tomme kam ihm vor wie eine ungesicherte Handgranate. Seine Nasenflügel waren weiß.
»Wir feiern heute abend eine Runde. Oder was? Ich kann einen Kasten Corona kaufen.«
Willy kehrte ihm den Rücken zu und trat ins Licht. Er brauchte ein wenig Distanz. Tomme hob wieder den Schwamm. Er wollte nicht feiern, hatte aber das Gefühl, in Willys Schuld zu stehen.
»Ja, Himmel. Vielleicht. Wir haben es ja geschafft«, sagte er.
Willy fühlte sich jetzt sicherer, er stand ein Stück entfernt.
»Du hast es geschafft« korrigierte er. »Vielleicht brauche ich auch mal jemanden, der mir einen Gefallen tut. Dann kann ich dich ja fragen, was?«
Tomme fuhr zusammen. Er hatte das Gefühl, in die Falle gegangen zu sein, alles war hart und straff. Eine Unfreiheit, wie er sie noch nie empfunden hatte. Als müsse er die Arme an den Leib pressen, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, dürfe nichts berühren, nicht stolpern, nicht fallen. Um Gottes willen nicht fallen. Er bückte sich, um den Schwamm auszuwringen, und richtete sich sofort wieder auf. Vor seinen Augen drehte sich alles.
»Fahr den Wagen raus, wenn du soweit bist«, befahl Willy. »Ich hole den Schlauch.«
Tomme kam gegen zwei Uhr nachts auf sein Zimmer gepoltert. Dort kippte er wie ein Sack auf sein Bett und schlief in seinen Kleidern. Am späten Vormittag schlief er noch immer. Ruth stand in der Tür und sah ihn an. Er schlief so tief, daß es aussah wie Bewußtlosigkeit. Jetzt reicht es, dachte sie. Jetzt darf er sich nicht mehr mit diesem Willy herumtreiben. Das führt doch nur zu noch mehr Elend. Sie ging zum Bett und stupste seine Schulter an. Er grunzte ein wenig und wand sich unter der Decke, wurde aber nicht wach. Er ist so dünn, dachte
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