Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
Tomme schließlich.
»Hä?« schrie Willy. Das Rauschen des Meeres übertönte alle Geräusche. Ein plötzlicher Regenschwall traf sie im Gesicht.
»Was hast du in der Tasche?«
»Nicht gerade Blumenschecks«, grinste Willy. Er trank wieder einen Schluck. Aber plötzlich rutschte das Glas aus seiner Hand und verschwand in den Wellen. Verblüfft schaute er hinterher.
»Vielleicht hab ich einen Kabeljau getroffen«, murmelte er hoffnungsvoll. »Mitten in die Fischfresse.«
»Jetzt red schon, zum Henker!«
Willy drehte sich zu ihm um. »Was stellst du dich denn so an, Mann. Ich hab dich um einen Gefallen gebeten, und du hast nein gesagt. Alles klar, jetzt weiß ich, was Sache ist. Aber es war eigentlich nicht ernst gemeint, ich wollte nur wissen, ob ich mich auf dich verlassen kann. Du hast die Probe nicht bestanden«, erklärte er.
Dazu grinste er, aber Tomme kannte ihn zu gut. Die schleppende Stimme hatte einen bitteren Unterton. Plötzlich fühlte Tomme sich nicht mehr wohl in seiner Haut.
»Ich werde mich in einer Werkstatt erkundigen«, sagte Tomme. »Und die Reparaturkosten schätzen lassen. Und dann bezahl ich dich, sobald ich irgendwann Kohle habe.«
Er hielt das für einen ehrlichen Versuch, das Gleichgewicht zwischen ihnen wiederherzustellen. Willy gab keine Antwort. Er hing über der Reling. Sein Blick war vage, Bierrausch und Meeresrauschen schienen ihn weit weggetragen zu haben. Tomme stellte sich plötzlich vor, wie die magere Gestalt nach vorn rutschte und in den Wellen verschwand. Versank und die ganze Geschichte dabei mitnahm. Und daß er selbst sie mit in sein eigenes Grab nehmen würde, wenn dereinst dieser Tag gekommen wäre. Er dachte daran, daß niemand sonst sie kannte. Außer Willy. Und der war so betrunken und schlaff. So unvorbereitet. Und hier oben konnte doch wirklich niemand sie sehen.
Tomme war entsetzt von diesen Überlegungen. Er wich von der Reling zurück und setzte sich auf einen Kasten. Seine Kleidung war naß. Der Regen verstärkte sich. Tomme fiel ein, daß er nur diese feuchte, kalte Hose hatte, die er jetzt trug. In seiner Tasche lag nur ein trockener Pullover.
Er hörte Willy, der jetzt an der Reling einen Schluckauf erlitt. Das ging vier- oder fünfmal so, dann drehte Willy sich um und sah Tomme an. In Dunkelheit und Regen leuchteten ihre Gesichter wie bleiche Lichter, und zwischen beiden entstand ein Schweigen, das keiner brechen wollte. Tomme musterte das Gesicht seines Freundes und erlebte es als mondgelbes Oval, in dem Augen und Mund wie undeutliche Schatten erschienen. Es schien in der Luft zu schweben und nicht mehr mit dem restlichen Körper verbunden zu sein. Wann immer der Wind stärker wurde, wehten die Haare ihm vors Gesicht und zerteilten das Oval. Weiße Finger tauchten auf und flatterten durch die Dunkelheit, um dann wieder zu verschwinden wie von einem Magier fortgezaubert.
»Warum glotzt du mich so an?« fragte Willy.
Sieben Stunden später erwachte Tomme mit schmerzendem Nacken. Sein Kopf war fast unbeweglich. Mehrere Minuten lag er in der Koje, ohne die Augen zu öffnen. In seinem Kopf herrschte wilde Verwirrung. War das alles ein Traum gewesen? Er erinnerte sich an etwas Böses, etwas ganz und gar Unverständliches, wie an Brocken aus Licht und Klang. Er wußte nicht, ob es noch Nacht war oder schon früher Morgen. Ob sie mitten im Fjord lagen oder schon im Hafen. Die Kabine hatte kein Fenster. Er könnte den linken Arm heben und auf seine Armbanduhr blicken. Aber das erschien ihm als unüberwindliche Kraftanstrengung. Das gleichmäßige Dröhnen der Dieselmotoren war noch immer zu hören. Es pflanzte sich als angenehme Vibration in seinem Körper fort, und er empfand einen starken Widerwillen dagegen, sich aus dieser Koje zu erheben und dieses Gefühl aufzugeben. Er hörte keine Stimmen, keine Schritte. Am Ende öffnete er die Augen und starrte an die Decke. Versuchte zu schlucken. Sein Mund war wie ausgedörrt. Vielleicht liegen wir am Kai, dachte er. Vielleicht sind alle anderen schon ausgestiegen. Und nur Tomme Rix liegt ganz allein in einer Koje in der Kabine, unten im Boot. Ganz unten. Er könnte wieder mit zurück nach Kopenhagen fahren. Und dann noch einmal zurück nach Oslo. Er könnte in alle Ewigkeit hin- und hersegeln. Sich in dieser Kajüte einsperren. Die Tür verriegeln. Er wollte nicht aufstehen, wollte nicht an Land gehen, wollte nicht einmal bei Bewußtsein sein. Aber er konnte nicht wieder einschlafen. Und dann hörte er in
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