Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)
aber das schafft er nicht. Verstehst du?«
Marion nickte in ihr Buch hinein und verbarg ihr Gesicht mit der Hand. Ihre Miene zu deuten wäre ohnehin unmöglich gewesen. Ruth schniefte und lieferte ein tapferes Lächeln, um die Stimmung zu heben.
»Das geht alles vorüber«, sagte sie und drückte den rundlichen Körper an sich. Marion wurde zwischen ihren Armen fast erdrückt.
»Alles wird so, wie es war. Das verspreche ich dir.«
*
I CH WAR IMMER schon offen und tolerant. Ich habe keine Vorurteile. Das ist für mich Ehrensache, dachte Konrad Sejer. Jeder hat eine Chance verdient. Menschen in Schubladen einzuordnen nimmt einem die Möglichkeit, Nuancen zu sehen. Trotzdem machte er sich so seine Gedanken über die Daten, die auf seinem Bildschirm auftauchten. Es kam ihm auf irgendeine Weise logisch vor, daß Elsa Marie Mork einen unverheirateten Sohn von zweiundfünfzig hatte. Der noch dazu Frührentner war. Kinder kriegt der sicher nie, hatte sie gesagt. Als sei er etwas Besonderes, und sie könne deshalb im Leben nicht mit denselben Gütern rechnen wie andere. Es war so verdammt logisch. Sejer wurde immer neugieriger. Margot Janson hatte gesagt, daß Elsa es auch nicht so leicht habe. Vielleicht hatte sie damit diesen Sohn gemeint. Er starrte auf den Namen. Er klang ihm fremd, hörte sich aber gut an. Ein Name, der in Liebe gegeben worden war, nicht achtlos zugeteilt. Jetzt schrieb er ihn auf einen Zettel und ging zu der Karte an der Wand. Langsam und umständlich plazierte er rote und grüne Stecknadeln an einzelnen wichtigen Punkten. Idas Haus im Glassblåservei. Lailas Kiosk. Das Transformatorhäuschen unten in der Ekornlia. Lysejordet, wo Ida gefunden worden war. Das Haus von Elsa Marie Mork und endlich das ihres Sohnes. Dann trat er zurück und betrachtete das Ergebnis. Die Nadeln bildeten einen Kreis, der in der wirklichen Landschaft einen Durchmesser von höchstens zehn Kilometern aufwies. Er verließ sein Büro und fand Skarre im Besprechungszimmer.
»Emil Johannes Mork«, las Skarre.
»Brennerivei 12«, sagte Sejer. »Kennst du dich da oben aus?«
»Ich hab einen Stadtplan«, sagte Skarre und steckte den Zettel in die Tasche seiner Uniformjacke.
»Fahr hin und sieh ihn dir an«, sagte Sejer. »Und schau gut hin. Stell fest, was er für ein Auto fährt, falls er überhaupt eins hat. Er ist Frührentner«, fügte er hinzu. »Der, den wir suchen, hat vermutlich einen Lieferwagen. Auf jeden Fall ein Fahrzeug, in dem ein Mädchen und ein Fahrrad untergebracht werden können.«
Skarre machte sich auf den Weg. Er wußte so ungefähr, wohin, hatte dann aber doch Probleme. Eine Zeitlang fuhr er verwirrt durch die Gegend, bis er schließlich den Brennerivei fand. Die Häuser in der kurzen Sackgasse waren nur unvollständig mit Nummern versehen, und er hatte keine Ahnung, was für ein Haus er suchte. Endlich kam ihm ein Junge entgegen. Skarre kurbelte das Autofenster herunter.
»Nummer 12!« rief er durch das Fenster. »Emil Johannes Mork.«
Der Junge trug ein Skateboard. Er klemmte es unter einen Arm und zeigte die Straße entlang.
»Das grüne Haus«, sagte er und starrte Skarres Uniform neugierig an. »Das mit der Garage daneben.«
»Gut«, sagte Skarre zum Dank.
»Was wollen Sie denn da?« fragte der Junge hemmungslos neugierig.
»Eigentlich gar nichts«, sagte Skarre lächelnd. »Nur kurz reden.«
Der Junge grinste. »Das wird sehr kurz ausfallen«, behauptete er.
»Wieso das denn?« fragte Skarre.
Der Junge schob das Skateboard hoch. Immer wieder rutschte es an seiner Nylonjacke nach unten.
»Der Mork, der kann doch gar nicht sprechen, Mann.«
Skarre ließ verwirrt den Motor im Leerlauf.
»Gar nicht?« fragte er unsicher.
Der Junge grinste noch immer. »Aber Sie können’s ja probieren.«
Na ja, dachte Skarre. Eine größere Herausforderung wird sich in meiner Karriere als Polizist wohl nicht stellen. Als einen Mann zu vernehmen, der nicht sprechen kann. Er schaltete und fuhr weiter. Dann entdeckte er das Haus, das keine Hausnummer aufwies. Sein Blick fiel auf die Garage, die so mit allen möglichen Dingen vollgestopft war, daß das Fahrzeug draußen stand. Es war kein Lieferwagen. Sondern ein Dreirad mit Ladefläche. Skarre stieg aus dem Auto. Eine breite Plane war hinten auf dem Anhänger festgezurrt. Er blieb eine Weile stehen und starrte das Dreirad an, denn es kam ihm bekannt vor. Und ihm fiel die Suchaktion ein, bei der sie sich an der Glassverket-Schule versammelt hatten, da hatte
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