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Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Schwarze Sekunden: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Sekunden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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zurückkehren würde.
    »Manche von diesen Vögeln bringen ihre Weibchen um«, erklärte Skarre. »Statt sich mit ihnen zu paaren. Das habe ich gehört. Ist das auch so einer? Heißt er deshalb Heinrich der Achte?«
    »Nein«, murmelte Emil. Er schien nicht zu begreifen, worauf Skarre hinauswollte. Jetzt sah er traurig aus. Was ist das für ein Mensch? dachte Skarre. Einer, der nur nein sagt. Oder ist das ein Zufall? Er beschloß, das zu überprüfen.
    »Wohnen Sie mit Ihrer Familie hier?« fragte er.
    »Nein«, sagte Emil. Familie, so was wollte er nicht. Seine Mutter reichte, noch mehr Menschen sollten nun wirklich nicht in seinem Haus herumtrampeln.
    »Sie haben auch keine Kinder?« fragte Skarre jetzt.
    Nein, Emil hatte keine Kinder, aber wenn er ehrlich sein sollte, dann waren sie ihm lieber als Erwachsene. Sie machten schrecklichen Krach, aber sie sagten offen ihre Meinung. Daß sein Moped blöd sei, zum Beispiel. Es kam vor, daß sie baten, auf der Ladefläche sitzen und eine Runde mit ihm fahren zu dürfen. Dann sagte er nein.
    Skarre dachte nach.
    »Aber Ihre Mutter kommt ab und zu. Elsa Marie?«
    Jetzt schwieg Emil. Skarre tippte sich an die Jackentasche und machte noch einen Versuch.
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich rauche?«
    Nein, dagegen hatte Emil nichts. Der Geruch war ungewohnt, aber auch das war gewissermaßen ein neues Erlebnis für ihn. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß jemals jemand an diesem Tisch gesessen und feinen Rauch in die Luft geblasen hatte. Er folgte ihm mit seinen Blicken. Skarre schaute in sein breites Gesicht und suchte nach einer weiteren Frage.
    »Sie haben vielleicht auch einen Aschenbecher?«
    Den hatte Emil nicht. Aber er erhob sich und öffnete eine Tür des Wandschranks, der über der Bank hing. Skarre sah buntes Schrankpapier mit ziemlich ausgefransten Kanten. Emil entschied sich für eine angeschlagene Untertasse.
    »Wo arbeiten Sie?« fragte Skarre lässig, als wisse er nichts von Emils Rentnerdasein.
    Schweigen. Und wieder dieser traurige Blick in den Augen.
    »Sie haben vielleicht keine Arbeit?«
    »Nein«, sagte Emil.
    Skarre griff wieder an seine Tasche.
    »Möchten Sie eine Zigarette? Ich habe ganz vergessen, Sie zu fragen.«
    Er hielt ihm die Packung hin.
    »Nein. Nein!«
    Heftiges Kopfschütteln, eine Hand jagte in die Luft. Skarre starrte einen Moment lang die Tischdecke an. Konnte es sein, daß dieser Mann nur ein einziges Wort sagen konnte? War so etwas möglich?
    »Haben Sie oft Besuch?« fragte er freundlich.
    »Nein«, sagte Emil.
    »Aber Ihre Mutter kommt doch her, nicht wahr?«
    Emil wandte sich wieder ab und schaute aus dem Fenster. In seinem Kopf wurde wütend gearbeitet. Skarre wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Dieser Mann konnte vielleicht die Entscheidung in diesem unmöglichen Fall bringen. Er hatte einen Vogel mit rotem Schwanz und dem Namen Heinrich. Er war ein Mann, der nur nein sagte. Oder schwieg. Ein Eigenbrötler. Der vielleicht lesen und schreiben konnte, vielleicht auch nicht. Der vielleicht zurückgeblieben war und trotzdem allerlei begriff; dem jedoch die Worte fehlten. Ein Mann, der vielleicht Ida Joner umgebracht hatte. Wieder sah er Emil an. Warum um alles in der Welt hätte er so etwas tun sollen? Das konnte einfach nicht sein. Emil war ungeheuer defensiv. Er drehte Skarre eine breite Schulter zu. Wieder schob er die Daumen unter seine Hosenträger. Die ganze Zeit starrte er auf den Hof hinaus.
    »Warten Sie auf jemanden?« fragte Skarre vorsichtig.
    »Nein«, sagte Emil kurz. Aber das stimmte nicht so ganz. Er hatte Angst, den Wagen seiner Mutter vor dem Haus vorfahren zu sehen. Beim Anblick des Streifenwagens würde sie vielleicht in Panik geraten und wieder davonjagen, daß der Sand nur so aufstob. Plötzlich wurde sein Wort mit einer Stimme aus dem Nebenzimmer wiederholt, die klang wie seine und war ebenso metallisch: »Nein!«
    Erst nach einem Moment begriff Skarre, daß das der Vogel gewesen war.
    »Heinrich der Achte kann sprechen«, sagte er begeistert.
    Emil wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. Skarre ging wieder ins Wohnzimmer. Emil kam hinterher. Er wollte offenbar wissen, was Skarre dort vorhatte. Skarre seinerseits hatte sein Erstaunen noch nicht überwunden. Die menschliche Stimme des Vogels, ihre Kraft. Er trat vor den Käfig. Emil ließ ihn nicht aus den Augen. Skarre nahm ihn wie einen Schatten in seinem Rücken wahr, als er dort breitbeinig und schweigend stand, mit den Hosenträgern von

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