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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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neuen Toaster mit dem Herzchengrill, es ist so absurd.
    »Das hat er geschluckt?«
    »Jetzt ist er ja wieder nüchtern. Er murmelte etwas davon, dass er dich später anruft, und stiefelte los.«
    Ich puste Luft aus meinen Backen. »Danke«, sage ich und reiche ihr die Aufschnittplatte. »Und du bist nicht sauer, wenn ich nach dem Frühstück erst mal allein sein möchte?«
    Alena schüttelt den Kopf. »Ich versteh schon. Du musst erst mal klarkommen. Wir sehn uns morgen in der Schule, und wenn du mich brauchst, ruf einfach an.«
    Als sie weg ist, umfängt mich die Stille in der Wohnung mit voller Wucht. Nach ihr habe ich mich gesehnt, aber jetzt meine ich, aus jeder Ecke Stimmen zu hören, sehe auf mich gerichtete Blicke hinter jeder Gardine, durch jedes Fenster. Ich muss mich beschäftigen, um nicht durchzudrehen, irgendetwas tun, selbst Geräusche verursachen. Meine Eltern werden erst abends zurückkommen, also drehe ich die Anlage auf, gehe durch alle Zimmer und bringe alles in Ordnung, was Alena und ich in der Nacht übersehen haben. Ich wasche das Geschirr ab, räume die Spülmaschine leer und sauge Staub, füttere die Katze und säubere ihre Toilette, wische die Böden, sammle Flaschen vom Balkon ein. Selbst sämtliche Bettwäsche wasche ich, stopfe sie in den Trockner und ziehe sie wieder auf, sodass die Spuren der Nacht äußerlich verschwunden sind.
    Nicht jedoch in mir. Ich denke an Corvin, versuche, das Bild von ihm aus meinem Gehirn zu vertreiben. Als ich am Nachmittag meine Schultasche öffne, um etwas für die Schule zu tun, fühle ich wieder diese Enge im Hals, alles darin erinnert mich an ihn. Ich bin noch nicht fähig zu lernen, obwohl ich es dringend müsste, die Klausuren stehen bevor. Durch den Horror der vergangenen Wochen habe ich viel zu wenig für die Schule getan. Aber ich kann nicht, egal welches Buch, welchen Hefter ich aufschlage, die Buchstaben tanzen vor meinen Augen, und immer wieder sehe ich Corvin vor mir, sehe mich im Turm aus dem Fenster hängen, unter mir die Kreidesilhouette, die meine Leiche darstellen soll. Nur mit Mühe schaffe ich es, mir selbst immer wieder zu versichern, dass es vorbei ist. Ich bin wieder mit Manuel zusammen, die anderen haben es alle mitbekommen. Ich bin gefangen, aber beschützt.
    Eine ganze Weile sitze ich nur angelehnt auf meinem Bett und starre die Wand an, beinahe wäre ich dabei eingedöst, noch immer spüre ich den Alkohol in meinem Blut.
    Plötzlich jedoch schrecke ich durch ein Geräusch auf, das sich anhört, als ob etwas Schweres vor unserer Tür abgestellt würde. Vielleicht irre ich mich, vielleicht ist nur jemand die Treppe nach oben gegangen, ist gestolpert und gegen unsere Tür gefallen, denke ich, ohne selbst wirklich daran zu glauben. Von einem unguten Gefühl getrieben, gehe ich in den Korridor und horche an unserer Wohnungstür. Unten schlägt die Haustür zu, ich eile ans Küchenfenster und sehe hinaus, stelle mich so, dass ich nicht selbst gesehen werden kann, doch auch ich kann niemanden entdecken. Auf Zehenspitzen schleiche ich zurück und lausche erneut, warte einige Atemzüge lang, ehe ich geräuschlos die Wohnungstür öffne.
    Auf der Fußmatte steht meine Sporttasche. Habe ich die in der Schule vergessen, als wir das letzte Mal Sport hatten? Möglich wäre es und nicht zum ersten Mal, seit ich so schikaniert werde. Im ersten Augenblick vermute ich, dass Alena sie mir gebracht und draußen abgestellt hat, aber dazu müsste sie heute in der Schule gewesen sein, sonst hätte sie sie mir doch gestern schon gegeben, und vor allem hätte sie kurz durchgerufen und sich angekündigt. Die Tasche sieht anders aus als sonst, schmutziger, und ihr entströmt ein Geruch, den ich nicht sofort zuordnen kann; Sissy kommt und schnüffelt interessiert daran, schüttelt dann jedoch angewidert die Vorderpfote, miaut und wendet sich ab. Eine bräunliche Flüssigkeit suppt vom Boden der Tasche hoch. Mit wild hämmerndem Puls ziehe ich den Reißverschluss auf, wage kaum hineinzusehen, halte die Luft an, weil sich der Geruch verstärkt. Dann sehe ich doch hinein. In der Tasche liegen mein T-Shirt und meine Leggings, verdreckt, zerrissen und mit Blut getränkt, Reste von rohem Fleisch kleben daran, vergammeltes Fleisch, das erklärt den Gestank, mir wird übel, als ich die Sachen herausnehme und auch meine Sportschuhe finde, ebenfalls verdreckt und blutig. Nur mein Handtuch hat kaum etwas abbekommen, säuberlich zusammengerollt liegt es da, doch als ich

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