Schwarze Stunde
eingestaubt, mein Herz poltert gegen meine Brust. Alena mustert mich prüfend. Langsam, beinahe genussvoll wandert ihr Blick über mein Gesicht, meine Brust und weiter hinunter, dann wieder herauf, bleibt in meinem grauen Gesicht haften.
»Ich dachte, du wolltest nicht weggehen«, sagt sie, Kälte in der Stimme und in ihren Augen. »Oder mich anrufen, wenn du doch noch Lust dazu bekommst.«
»Wollte ich, das stimmt«, bringe ich irgendwie hervor, ringe nach Luft. Das ist kein Zufall. Doch sie kann mir nicht gefolgt sein, im Club war sie nicht, sonst hätte ich sie gesehen. Dann fällt es mir ein: die Blicke in meinem Nacken. War sie es doch?
»Ich bin erst spät losgegangen«, gestehe ich, nachdem ich mich etwas gefangen habe. »Konnte nicht schlafen, diese laue Sommerluft zog mich nach draußen. Aber ich dachte, es sei schon zu spät, um anzurufen.«
»Denkst du, ich geh am Wochenende mit dem Sandmännchen ins Bett?« Alena schüttelt den Kopf. »Du bist echt komisch drauf, seit du diesen älteren Typen getroffen hast. Als ob es nur noch ihn in deinem Hirn gibt, als wären deine anderen Freunde dir nicht mehr gut genug. Hast du ihn wenigstens getroffen?«
»Jetzt verhör mich doch nicht so.« Ich versuche weiter, versöhnlich zu klingen. »Wir können doch jetzt noch was trinken gehen, und wenn es nur in der Pizzeria neben unserer Schule ist. Da kennen sie uns wenigstens und keiner fragt nach dem Ausweis. Was hältst du davon?«
Alena blickt auf das Display ihres Handys. »Um ein Uhr nachts«, bemerkt sie. »Die hat längst zu oder ist kurz davor zu schließen.«
»Dann am Ku’damm. Da ist immer noch irgendwo was auf, und es liegt auf dem Weg nach Hause. Muss ja nicht ewig sein.«
»Mir ist aber die Lust vergangen«, faucht Alena. »Genau wie du bin ich alleine tanzen gegangen, das ist doch blöd. Eine tolle Freundin bist du; ich bin so was von enttäuscht! Mach, was du willst, vielleicht sitzt dein Supertyp in irgendeiner Kneipe und weint sich deinetwegen sein Band-T-Shirt nass. Ich fahre nach Hause.«
Die Bahn fährt ein, und Alena dreht mir den Rücken zu, ihr ganzer Körper eine einzige stumme Anklage. Eine der Doppeltüren vor uns springt zischend auf, und Alena steigt ein, ohne weiter auf mich zu achten. Zum ersten Mal, seit ich sie kenne, spüre ich so etwas wie Hass, der mir entgegenschlägt.
Dennoch folge ich ihr in den Waggon, der fast so voll ist wie zu den Stoßzeiten. Gern hätte ich mich hingesetzt, spüre jetzt doch die Erschöpfung nach der Reise mit all den Erlebnissen, der Aufregung um Manuel, dem langen Strandtag mit meinen Eltern und dem gestörten Verhältnis zu Alena. Wir müssen stehen bleiben, halten uns an den Stangen fest, benehmen uns wie Fremde in einem Fahrstuhl, eingepfercht auf engstem Raum und nicht wissend, wohin man schauen soll. So kann es nicht bleiben, das ist nicht mehr meine Freundschaft mit Alena, so soll sie nicht enden. Es kann nicht sein, dass sie derart blockiert, nur weil ich mich sechs Wochen nach der Trennung von Manuel wieder für einen Mann interessiere. Zum ersten Mal für einen Mann. Keinen Jungen.
»Alena.« Jetzt stelle ich mich so, dass sie mich ansehen muss. »Wir haben immer alles miteinander geteilt. Du weißt alles von mir und ich glaube, ich auch von dir. War es ein Fehler, dir überhaupt von der Begegnung im Flieger zu erzählen? Hätte ich das alles lieber für mich behalten sollen? Hätte ich mit dir zu Manuel fahren und so tun sollen, als würde ich vor Mitleid zerfließen und noch am Krankenbett wieder mit ihm zusammenkommen? Wärst du dann zufrieden mit mir?«
Alena blickt an mir vorbei und schweigt.
»Das kannst du nicht wollen«, fahre ich fort. »Anscheinend passt es nicht in dein Bild von mir, dass ich mich in jemanden … dass jemand Gefühle in mir ausgelöst hat, von denen ich nicht mal wusste, dass ich dazu überhaupt fähig bin! Außerhalb von unserem Kreis, der Schule, dem ganzen Alltag. Jemand ganz anderes. Aber man kann sich doch nicht aussuchen, in wen man sich verliebt! Glaubst du nicht, dass dir das auch passieren könnte?«
Ganz kurz sieht Alena mich an, ein Blick wie das Aufflackern einer Kerzenflamme, ihre Schultern sacken ein wenig nach unten. Gut, gut so.
»Es kann doch sein, dass du dich übermorgen in einen verheirateten Vierzigjährigen verliebst«, nehme ich unbeirrt den Faden wieder auf. »Oder in einen Kriegsflüchtling, der kein Wort deutsch spricht und im Aussiedlerheim wohnt. In eine Frau. Oder in
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