Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
Vom Netzwerk:
ich im Strandbad getroffen hatte.
    Erneutes Murren, jedoch etwas verhaltener; Frau Bollmanns Blick verrät, dass sie keinerlei negative Bemerkungen oder gar störendes Verhalten vonseiten ihrer Schüler dulden werde.
    Alena will noch etwas antworten, doch plötzlich wird von außen die Türklinke heruntergedrückt.
    Mein Herz setzt aus.
    »Ah, Herr Schwarze!«, ruft Frau Bollmann und legt ihr Kreidestück auf die Ablage unter der Tafel, reibt die Hände aneinander, um den Staub zu verwischen. Geht mit festen Schritten auf die Tür zu, streicht mit einer Hand durch ihr Haar, nestelt an ihrer Kette herum.
    Ich sterbe. Ganz bestimmt. Jetzt gleich. Es kann einfach nicht sein.
    »Die Bollmann ist ja ganz nervös«, kichert Alena.
    Herr Schwarze ist Corvin. Mein Corvin. Da steht er vor uns; Jeans, schwarzes T-Shirt, breites, frohes Lächeln, dunkelblondes Haar mit lässigem Schnitt, über der Stirn etwas dünner und zerwuschelt. So warme Augen.
    Corvin ist hier. Ist unser neuer Referendar.
    Mein Herz setzt wieder ein, um gleich zum Spurt überzugehen, ich muss mich zusammenreißen, muss irgendwie meine Fassung wahren. Noch hat er mich nicht entdeckt, mein Platz in der vorletzten Reihe neben der Wand an der Türseite ist günstig, um länger als manch andere unbeobachtet zu bleiben. Corvin gibt Frau Bollmann die Hand, sie wechseln ein paar Worte, die ungehört an mir vorbeirauschen, nichts anmerken lassen, ganz normal wirken, nicht so zittern, Ruhe bewahren. In mir tobt eine Mischung aus Panik und dem Gefühl zu entspannen, aufzuweichen, er ist da, Corvin ist da, er steht vor mir, von nun an werden wir uns fast jeden Tag sehen und können uns nicht aus den Augen verlieren. Ich kann es kaum glauben.
    Er richtet seinen Blick auf die Klasse, ich starre auf meinen Tisch, habe mich noch immer nicht gefangen, warte ab, bis er die ersten Worte an uns richtet, gleich werde ich seine Stimme hören, und in ein paar Sekunden wird auch er mich sehen, gleich. Alena neben mir richtet sich kerzengerade auf und starrt ihn an, auch alle anderen sind verstummt, Mädchen wie Jungen. Kein genervtes Stöhnen mehr, er gefällt ihnen. Ganz leicht hebe ich jetzt doch meine Augen, muss ihn ansehen, es kann nicht wahr sein. Corvin ist hier, er ist wirklich da. Sein Anblick erscheint mir so vertraut, tut mir so gut, in mir breitet sich ein Gefühl aus, als könne mir nichts mehr passieren; als ob ich nach langen Strapazen endlich dort angekommen bin, wo ich Ruhe und Frieden finden kann. Das ist es jetzt. Corvin. Ausgerechnet in diesem Augenblick fühle ich es mehr als je zuvor: Wir gehören zusammen. Ich bin zu Hause. Wenn Corvin vor mir steht, bin ich zu Hause.
    »Hallo allerseits«, sagt er und erfasst nun den ganzen Kurs mit seinem Blick. Stutzt, erkennt mich, ich sehe es genau. Sieht weg, sieht wieder zu mir hin, vorsichtig und mit unbewegtem Gesicht, nur an seinem Wimpernschlag und einem leichten Zucken um seine Mundwinkel merke ich, dass er weiß, was los ist. Dass ich von heute an seine Schülerin bin. Wie eine Kamera fahren seine Augen weiter durch den Raum, zurück nach vorn und die erste Bankreihe entlang, dann wieder nach hinten, weiten sich fast unmerklich, als sie mich streifen. Ich spüre, dass auch er sich zusammenreißt. Sieht noch einmal zu mir, sein linker Mundwinkel scheint sich ganz leicht zu heben, es kann allen gelten, aber ich weiß, dass es mir gilt. Corvin räuspert sich.
    »Guten Morgen, mein Name ist Schwarze«, stellt er sich vor, »Frau Bollmann hat Ihnen also schon erzählt, dass wir in diesem Schuljahr das Vergnügen miteinander haben werden. Ich freue mich sehr, nicht nur bei den jüngeren Klassen eingesetzt zu sein, sondern auch bei Ihnen, die Sie ja schon fast erwachsen sind. Meine Fächer sind Musik und Englisch. Ich hoffe, wir werden nicht nur gut miteinander auskommen, sondern auch Spaß am gemeinsamen Lernen haben.«
    Diese Stimme, seine Stimme. So anders als im Flugzeug und doch so gleich, fremder, distanzierter, weiter weg, dennoch dringt der Klang bis in mein Innerstes vor. Natürlich war er am Samstag nicht im Club, schießt es mir durch den Kopf; er hat sich schon auf den Unterricht vorbereitet, hat sicher eine Menge zu regeln gehabt. Wollte fit sein für den ersten Morgen, auch wenn noch der Sonntag dazwischen lag.
    »Wow, der ist ja eine Sahneschnitte«, flüstert Alena mir zu. Nicht rot werden. Nichts anmerken lassen, absolut nichts. Weder zu begeistert noch zu gleichgültig antworten, Alena darf nichts

Weitere Kostenlose Bücher