Schwarze Stunde
merken, noch nicht. Die anderen schon gar nicht. Es ist so unglaublich, ihn hier zu sehen. Ich weiß Dinge von ihm, die die anderen nicht wissen. Ich kenne ihn schon, nicht nur das, im Flieger hätten wir uns fast geküsst.
»Ja, nicht übel«, stimme ich mit gedämpfter Stimme zu. »Mal sehen, wie sein Unterricht ist. Bestimmt besser als bei dem Physikheini damals.«
»Ich meine nicht den Unterricht, Valerie«, zischt Alena. »Vor allem sieht er einfach galaktisch aus, findest du nicht? Guck mal.« Alena stößt mich an. »Fiona und Yuki klimpern schon mit den Wimpern. Die sind bestimmt scharf auf ihn.«
Fiona. Ich muss mich zusammenreißen. Nichts anmerken lassen, gar nichts, auf keinen Fall. Fiona, die Beste im Kurs, deren Mutter aus Irland kommt. Sie ist zweisprachig aufgewachsen und spricht besser Englisch als Frau Bollmann. Aber auch äußerlich fällt Fiona auf mit ihrem blassen Teint und den roten Haaren, die sie noch intensiver tönt, als die Natur es vorgegeben hat, und die durch den raffinierten Schnitt ihr Gesicht wie Federn umrahmen. Mit ihren weit ausgeschnittenen Tops in hellen Erdtönen, den figurbetonten Röcken und Hosen sowie ihren bräunlich geschminkten Lippen zu den grünen Augen erinnert sie mich an eine Porzellanpuppe, zart, alabasterfarben, weiblich. Meine Freundin ist sie nicht. Und die selbstbewusste, gelassene Yuki aus Japan, mit der sie immer zusammensteckt. Was ist, wenn Corvin die beiden interessanter findet als mich?
»Valerie?« Alena stößt mich unsanft gegen den Ellbogen. »Träumst du?«
»Quatsch«, antworte ich. »Hab mich nur gerade amüsiert – die beiden scheinen Herrn Schwarze wirklich anzuschmachten. Gehen wir in der Pause zusammen in die Cafeteria?«
8.
I rgendwie bringe ich den Schultag hinter mich. Corvin sitzt den Rest der ersten Stunde in unserem Kurs, auf einem Stuhl ganz hinten am Ende des Mittelganges, ich spüre seine Blicke als Kribbeln im Nacken und höre jedes Kratzen seines Stiftes auf dem Papier, wenn er sich Notizen macht. Auch als wir nach der großen Pause bei anderen Lehrern Unterricht haben, kann ich mich nur mit größter Mühe auf den Lernstoff konzentrieren und noch weniger auf die Gespräche in der Pause. Ich lasse die anderen reden, auch sonst bin ich nie eine von denen, die sich besonders in den Mittelpunkt stellen, also fällt es niemandem auf. Heimlich halte ich immer wieder nach Corvin Ausschau, möchte wissen, wo er ist, was er macht, wie er es verkraftet, mich hier zu sehen. Vielleicht berührt es ihn gar nicht; vielleicht bilde ich mir die Nähe zwischen uns doch nur ein, oder er schafft es, Vernunft walten zu lassen und zur Tagesordnung überzugehen, sobald ihm klar geworden ist, dass ich seine Schülerin bin und damit nicht seine Freundin werden dürfte, selbst wenn wir beide es noch so sehr wollten.
»Scheiße, dass Manuel noch nicht wieder da ist«, bemerkt Oleg in der Mittagspause. Alena, Büsra, ich, er und sein Kumpel Patrick haben uns in der Mensa Spaghetti geholt und zusammen einen freien Tisch angesteuert. Als jetzt unverhofft Manuels Name fällt, zucke ich zusammen.
»Der ist noch nicht wieder fit«, sagt Alena. »Kein Wunder, so wie er sich zugesoffen hat.«
Oleg heftet seine Augen auf mich. Dringt in mich mit seinem Blick, die Augen schmal, düster. Er hat aufgehört zu essen und lässt seinen Messergriff immer wieder auf die Tischplatte knallen, in langen Abständen, vollkommen regelmäßig wie ein Metronom. Klack, klack, klack. Dabei lässt er mich nicht aus den Augen, Schweißtropfen benetzen seine Stirn, er atmet hörbar. Unter seinem engen weißen T-Shirt sehe ich seine Oberarmmuskeln spielen.
»Was starrst du mich so an?«, frage ich, als ich es nicht mehr aushalte.
»Manu ist mein Kumpel«, antwortet er, ohne seine Augen zu bewegen. »Und du bist eine miese Braut. Mit Manu macht kein Mädchen einfach Schluss. Er hat die Beziehung angefangen, also beendet er sie auch. Nicht die Braut.«
»Was ist denn das für ein Blödsinn«, gebe ich zurück. »Ich hatte meine Gründe dafür, mich von Manuel zu trennen. Aber die werde ich bestimmt nicht mit dir ausdiskutieren.«
»Ich sag’s dir nur.« Er strafft seine Brust und spießt ein Stück Fleisch auf seine Gabel, starrt mich weiter an, ehe er sie langsam in seinen Mund schiebt. Immer noch sein Messer, klack, klack, klack.
Wir essen schweigend weiter, ich versuche, ihn nicht mehr zu beachten, aber ein beklemmendes Gefühl hat von mir Besitz ergriffen, ich
Weitere Kostenlose Bücher