Schwarze Stunde
Theoriestunde dabei. Ich will mich auch bald anmelden. Alena hat sogar schon ihre theoretische Prüfung gemacht.«
Meine Mutter nickt, winkt ab, als hätte sie nicht richtig zugehört, jaja, Kind, sagt ihr Blick, das kann es aber nicht sein, das hättest du uns doch erzählt, natürlich kannst du deinen Führerschein machen.
»Hat es was mit einem Jungen zu tun?«, fragt sie.
»Wie kommst du darauf?«, frage ich und starre sie an, als hätte sie mir auf den Kopf zugesagt, ich wäre schwanger. Die Luft in unserem Wohnzimmer kommt mir stickig vor, als wäre seit dem Sommer noch kein einziges Mal gelüftet worden.
»Es wäre nicht außergewöhnlich. Du bist seit gut einem Vierteljahr von Manuel getrennt, und ein Mädchen wie du …«
»Ein hübsches Mädchen wie du«, wirft mein Vater ein.
»Natürlich«, lächelt meine Mutter. »Du musst dich nicht heimlich treffen, nur weil ich einmal gesagt habe, es wäre besser, wenn du dich erst auf dein Abi konzentrierst. Wenn du wieder einen Freund hast und er sympathisch ist, kannst du ihn gerne mitbringen.«
Ich muss mich zurückhalten, um nicht loszuprusten. Mitbringen. Corvin mitbringen, hierher, meinen Lehrer in das Zimmer bei meinen Eltern. Das fehlte noch. Aber ich muss etwas sagen, sonst fragen sie immer wieder und irgendwann bekommen sie heraus, was mit mir los ist. Sissy kommt maunzend ins Zimmer und streicht um meine Beine, ich bücke mich um sie zu streicheln, so gewinne ich etwas Zeit.
»Es gibt einen, den ich mag«, bekenne ich also. »Aber das ist alles noch zu frisch, um ihn euch schon vorzustellen. Erst will ich sicher sein, dass es ein bisschen länger hält als mit Manuel.«
»Aber ihr seid fest zusammen?«, hakt meine Mutter nach, und weiter, ohne meine Antwort abzuwarten: »Ist es wieder jemand aus deiner Klassenstufe?«
»Aus der Schule«, bejahe ich. »Ich brauche wirklich noch ein bisschen Zeit.«
»Wir wollen nur sichergehen, dass er dir guttut«, betont mein Vater.
Das tut er, bestätige ich nur in Gedanken. Das tut er wirklich. Wenn ihr nur wüsstet, wie gut er mir tut. Und wie gefährlich unsere Liebe gleichzeitig ist.
»Macht euch keine Sorgen.« Ich trinke meinen Kaffee aus und stelle die Tasse auf meinen leer gegessenen Teller. »Ich will es dieses Mal einfach langsam angehen lassen.« Ich schiebe meinen Stuhl zurück und will aufstehen, doch meine Mutter hält mich mit sanftem Druck am Arm fest.
»Warte doch mal«, sagt sie. »Eigentlich wollten wir noch mit dir über deinen Geburtstag sprechen, es ist ja nicht mehr lange hin, und unsere Tochter wird nur einmal im Leben volljährig. Hast du dir schon überlegt, was du dir wünschst?«
Ich setze mich wieder hin.
»Eigentlich nicht viel«, sage ich schließlich. »Ich habe den anderen versprochen, eine Party zu geben. Das allein geht ja schon ziemlich ins Geld. Und dann ist ja bald die Kursfahrt.«
»Na, na, an deinem Achtzehnten lassen wir uns doch nicht lumpen«, sagt mein Vater und lächelt. »Selbst wenn ich zugeben muss, dass ich etwas wehmütig werde, weil du nun wirklich kein Kind mehr bist – es macht mich auch stolz, eine erwachsene Tochter zu haben. Und deshalb soll dein Tag auch etwas ganz Besonderes für dich werden, Valerie.«
Ich rühre übertrieben lange meinen Kaffee um. Papas Augen ruhen auf mir, von Lachfältchen umkränzt, und ich muss daran denken, dass er bestimmt anders reden würde, wenn er wüsste, dass ich heimlich mit meinem Lehrer zusammen bin. Oh Gott, wenn er das wüsste – es ist schwer einzuschätzen, wie er reagieren würde. Es ist ja nicht nur Corvin und die Tatsache, dass mein Freund jemand ist, den sich Papa wahrscheinlich nicht im Traum an meiner Seite vorstellen kann. Wenn er es erfahren würde, müsste er sich eingestehen, dass es Bereiche in meinem Leben gibt, zu denen er keinen Zugang mehr hat, ja von denen er nicht einmal im Entferntesten etwas weiß. Zum ersten Mal in meinem Leben gibt es etwas, von dem ich meine Eltern komplett ausklammere. Ich bin sicher, sie meinen, sie würden mir in jeder Situation beistehen. Aber aus dieser hier, in die ich mich selbst hineinmanövriert habe, muss ich ganz allein herausfinden. Den Lehrer zu lieben war nicht vorgesehen.
»Wirklich, ihr sollt euch meinetwegen nicht überschlagen«, beteuere ich also, stehe auf und nehme Sissy auf den Arm. »Ich möchte wirklich nur die Party mit den anderen – und vielleicht ein kleines Startkapital für die Fahrschule. Den Rest nehme ich dann vom Sparbuch. Ihr
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