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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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ihm her, als er dicht neben Frau Bollmann noch einmal nach draußen geht, er dreht sich um und bedankt sich bei ihr, nur einen schnellen Atemzug lang begegnen sich auch unsere Blicke. Ich versuche mich mit dem Gedanken zur Vernunft zu rufen, dass er weiß, wie nah ich ihm bin.
    Noch einmal entsteht eine verhaltene Unruhe, alle reden durcheinander, wir beeilen uns jetzt, auf unsere Plätze zu gelangen und die Englischsachen vor uns hinzulegen. Plötzlich springt Manuel auf und rennt hinaus, sein Rucksack baumelt an einem Riemen auf seiner linken Schulter.
    »Wo willst du denn jetzt noch hin? Komm zurück!«, rufe ich, doch er lacht nur und rennt weiter, ich fühle den Impuls, hinter ihm herzurasen und zu versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen, aber jetzt kann niemand mehr hinaus, es ist zu spät; kaum ist Manuel außer Hörweite, klingelt es zur Stunde, und noch ehe der Ton verklungen ist, kommt Corvin herein und hinter ihm die angekündigte Gefolgschaft. Ich straffe meinen Körper und atme durch, es muss gut gehen, er ist auf der sicheren Seite, das Thema der Stunde ist die Klausurvorbereitung, der Vergleich der beiden Stories of Initiation : »Live Life Deeply« und »Indian Camp«.
    Die Gäste nehmen auf den bereitgestellten Stühlen Platz, Fiona in der ersten Reihe dreht sich um und bedeutet uns anderen mit wichtiger Miene, ruhig zu sein, dabei sitzen bis auf Manuel ohnehin schon alle an den Tischen. Die Stille im Raum ist beinahe unheimlich, ein ungutes Gefühl beschleicht mich, Ungewissheit, ob die Ruhe Corvin in seiner Lehrprobe zugutekommen wird oder ob alle angespannt darauf warten, was weiter geschieht.
    Corvin begrüßt uns mit fester, freundlicher Stimme und beginnt seinen Unterricht. Er wirkt gelassen und souverän, lässt uns mündlich die wichtigsten gemeinsamen Merkmale der beiden Kurzgeschichten herausarbeiten und Unterschiede benennen, ehe er zu einer Aufgabe überleitet, bei der wir schriftlich die jeweiligen Hauptpersonen charakterisieren sollen. Während er den Arbeitsauftrag an die Tafel schreibt, wirft sich von außen jemand gegen die Tür und zieht sie auf. Manuel stolpert hinein.
    »Pardon, Herr Lehrer«, grölt er, »ich hoffe, meine kleine Verspätung stört Sie nicht. Sie packen das schon, nicht wahr? Sonst lassen Sie sich ja auch nicht bei Ihren Vorhaben stören.« Geräuschvoll lässt er sich in seinen Stuhl fallen, kramt in seinem Rucksack herum, wühlt in der Schlamperrolle nach einem Stift, scharrt mit den Füßen auf dem Boden, kippt mit dem Stuhl zurück und lässt ihn mit einem Knall wieder nach vorn fallen. Als er den Kopf hebt, sehe ich, dass seine Augen schwimmen, so hat er auch im Krankenhaus ausgesehen, er muss getrunken haben, sein ganzes fahriges Verhalten deutet darauf hin. Das macht er mit Absicht, jeder hier im Kurs weiß es so sicher wie ich; ich drehe mich kurz nach hinten um und bemerke die verwunderten Blicke der Gäste, von ihnen kann sich niemand einen Reim auf Manuels Worte machen, nur Frau Bollmann flüstert seinen Namen und legt die Hand auf ihre Lippen.
    Ich schicke ein stummes Flehen zum Himmel, er möge jetzt still bleiben und Corvin nicht noch weiter ins Unglück reiten, seine Seminarleiterin kräuselt bereits die Lippen und schreibt einen Vermerk in die Unterlagen auf ihrem Schoß. Corvins Gesicht läuft dunkelrot an, nur mit Mühe gelingt es ihm, die Fassung zu wahren, er starrt auf die Papiere auf dem Lehrertisch, als könne er darin eine Lösung finden, einen Hinweis darauf, wie er sich jetzt verhalten soll, was er tun kann, damit Manuels Benehmen nicht eskaliert. Auf seiner Stirn haben sich feine Schweißperlen gebildet, mit der Hand fährt er sich durchs Haar. Normalerweise müsste ich jetzt schmunzeln über die zerzausten Strähnen über seiner Stirn, die ich so liebe und von denen nur ich weiß, wie sie sich anfühlen, doch in diesem Moment habe ich das Gefühl einzufrieren. Ich kann nichts tun, das ist ein Albtraum. Manuel verdirbt alles, diese Stunde kann nur zu einer Katastrophe werden.
    Schließlich schafft Corvin es, seinen Unterricht fortzusetzen. Alle im Kurs geben sich Mühe und melden sich, so oft es geht; jeder Einzelne scheint sämtliches Wissen aus den vorausgegangenen Unterrichtsstunden aus dem Hirn zu kramen und es ihm geradezu zu Füßen zu legen, jeder, sogar Patrick und Oleg. Wenn ich nur wüsste, ob dies ein Teil ihrer Strategie ist, mit der sie auch mich verfolgen oder ob sie es wirklich für ihn tun, aus Sympathie für Corvin und

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