Schwarze Stunde
außerdem Kosta und Büsra. Zum ersten Mal kann ich es beinahe genießen, wieder dabei zu sein, mit Gleichaltrigen Popcorn, Nachos und Eiskonfekt zu teilen, über den Film zu lachen und anschließend noch ein wenig durch die Stadt zu stromern, einfach so, ohne Ziel, es genügt, dazuzugehören. Diese Gunst der Stunde muss ich nutzen, überlege ich, und verkünde zum Schluss, dass ich den ganzen Englisch-Leistungskurs und noch ein paar andere aus unserem Jahrgang an meinem Achtzehnten zu mir nach Hause einlade.
»Meine Eltern sind nur bis mittags da«, füge ich hinzu, als Manuel die Augen verdreht und etwas von »anwesenden Aufsichtspersonen« murmelt. Er ist ja früher oft bei mir gewesen und kennt meine Mutter nur zu genau, die regelmäßig unter irgendeinem Vorwand in mein Zimmer gekommen war. »Danach fahren sie bis Sonntagabend weg. Hey, ich werde volljährig, da brauchen wir keine Aufpasser mehr, das wissen sie doch, und sie vertrauen mir.«
Dieser Satz wirkt wie ein Befreiungsschlag; auf einmal fangen alle an, durcheinanderzureden, wie sehr sie sich darauf freuen und was sie zur Party beisteuern wollen.
»Ich mache gefüllte Weinblätter, die kann ich gut«, verspricht Büsra.
»Mach dir bitte nicht so viel Mühe«, erwidere ich. »Die Gastgeberin bin doch ich, da will ich auch was springen lassen.«
»Du musst wirklich nicht alles selber machen«, meint Fiona und streicht mir über den Arm; eine Geste, die man sonst nur zwischen ihr und Yuki beobachtet. »Ich bringe Baguette und Räucherlachs mit, Yuki macht einen fantastischen Glasnudelsalat und die Jungs können für Getränke sorgen.«
»Wir haben schon eine Menge eingekauft«, erwidere ich. »Aber wer etwas Bestimmtes trinken will, was vielleicht fehlt – meinetwegen.«
Oleg schlägt Manuel auf die Schulter.
»Jede Menge wird da fehlen«, röhrt er. »Wir wollen ja nicht nur Mädchensekt und Erdbeerlikör zu uns nehmen, was, mein Bester? Lasst mal, ihr Beauties, wir kümmern uns schon drum.«
»Gebt nicht so viel Geld aus«, mahne ich zaghaft. »Es soll kein Saufgelage werden, bei dem am Ende die Hälfte von uns kotzend in der Ecke liegt.« Mit einem Knoten im Magen denke ich an Manuel, der in diesem Punkt gefährdet ist, und sehe ihn an. Er jedoch lacht nur. »Okay, wir trinken nur Kakao mit Sahne«, witzelt er und legt seine Arme um mich, drückt mich fest an seine Brust, streift mit seinen Lippen mein Haar. »Mach dir nicht solche Sorgen, Süße, entspann dich. Dein Achtzehnter wird die tollste Fete, die die Welt seit Langem gesehen hat. Oder was meint ihr, Jungs?«
Dann ist es plötzlich so weit. Der Tag, den jeder Jugendliche jahrelang herbeisehnt. Volljährig; denke ich, als ich frühmorgens in meinem Bett liege und durch das gekippte Fenster beobachte, wie die Dämmerung langsam einem ruhigen, klaren Herbstmorgen weicht. Die Luft riecht nach frisch gefallenem Laub und Erde, ein Geruch, der mich jedes Mal ein wenig traurig stimmt, wenn ich ihn in den Abendstunden eines Septembertages die ersten Male wahrnehme. Heute passt er zu meiner Stimmung. Ich bin erwachsen, aber in mir fühlt sich alles eher so an, als ginge etwas zu Ende, als dass ich eine unbändige Freude auf Neues verspüren würde. Von meiner Geburt abgesehen, ist dies der wichtigste Tag in meinem bisherigen Leben, aber ich muss ihn ohne Corvin verbringen, und diese Tatsache löscht jeden Anflug einer kribbeligen Vorfreude in mir aus. Zum achtzehnten Geburtstag sollte alles stimmen, damit man ihn genießen kann. Bei mir stimmt gar nichts. Ich versuche mir einzureden, dass ich immerhin meine Freunde wiederhabe.
Kurz nach Mitternacht hat Corvin mir eine SMS geschickt. Alles Liebe, meine Valerie ; stand darin. Du weißt, wie gern ich bei dir gewesen wäre. Genieß deinen Tag und lass den Sekt strömen. Dein C. Seine Worte haben mich gewärmt, immer wieder habe ich die Nachricht gelesen, bis ich sie schließlich in einen Ordner am Computer übertragen und im Handy gelöscht habe. Er ist mir nicht böse, auf eine Art gibt es uns noch. Ein schöneres Geschenk kann ich heute nicht mehr bekommen.
Von meinen Eltern bekomme ich Geld für den Führerschein. Besonders eilig habe ich es damit nicht, hier in der Innenstadt komme ich mit Bussen und Bahnen immer gut weiter, und bis zum Wintereinbruch fahre ich ohnehin am liebsten mit dem Rad. Trotzdem freue ich mich natürlich und bedanke mich bei beiden mit einem Kuss.
Überhaupt haben sie mir einen sehr liebevollen Geburtstagstisch
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