Schwarze Stunde
Verantwortung tragen wir selber.«
»Aber wir passen auf«, verspricht Alena. »So was wie mit Manuel wird bestimmt nicht passieren, da können Sie beruhigt sein.«
Als wir fertig sind, will meine Mutter noch in die Non-Food-Abteilung, um nach Druckerpapier und einem neuen Toaster zu schauen. Mehr als eine Stunde sind wir nun schon hier, denke ich, und ziehe noch einmal mein Handy aus der Tasche; noch immer ist keine Nachricht eingegangen. Auf einmal fühle ich mich grenzenlos müde; der Schlafmangel und das viele Weinen haben meine Augen ausgetrocknet und die Lider schwer werden lassen. Noch immer muss ich pausenlos an Corvin denken, aber vielleicht kann ich in dieser Nacht besser schlafen, allein durch die Müdigkeit. Wie ein Herdentier lasse ich mich von Alena in die Handyabteilung schleifen, die gleich neben den Schreibwaren liegt. Plötzlich stößt sie mich an.
»Da«, flüstert sie und krallt ihre Hand in meinen Arm. »Da ist er. Corvin.«
Ich zucke zusammen, als ich seinen Namen höre, dann sehe ich ihn auch schon, er steht nur wenige Meter vor uns zwischen zwei Regalen mit Stiften und Ordnern. Neben ihm greift Frau Bollmann gerade nach einem Papierkorb mit irgendeinem witzigen Cartoon darauf und kichert, ich will das Bild gar nicht sehen, starre nur Corvin an, er ist wirklich hier, ich könnte hingehen und ihn berühren, wenn ich wollte, gleichzeitig ist er so weit von mir entfernt wie ein Geist. Noch haben sie uns nicht bemerkt, Frau Bollmann sagt irgendetwas zu ihm, er nickt und lächelt, mir fällt auf, wie blass seine Haut ist, blass wie meine, seine Wangen eine starre Maske, die Augen blicken unbewegt geradeaus. Frau Bollmann plappert munter weiter, lacht jetzt lauter, legt dabei ihre Stirn gegen seine Schläfen; er zuckt zurück.
»Ach, da seid ihr!« Meine Mutter kommt mit eiligen Schritten auf uns zu. »Sieh mal, Valerie, dieser Toaster hat innen einen Rost, mit dem man lachende Gesichter oder Herzen in die Brotscheiben brennen kann. Wäre das nicht eine schöne Idee für deine Feier? Er wurde im Preis reduziert, sonst würde ich natürlich nicht so viel Geld für einen solchen Schnickschnack ausgeben. Aber für Geburtstage …«
»Ja, kannst du kaufen«, antworte ich, ohne meinen Blick von Corvin zu wenden. »Das ist wirklich süß.«
»Du siehst ja gar nicht hin«, beschwert sich Mama, dann jedoch folgt sie meinem Blick.
»Ach, das ist doch … ist das nicht Frau Bollmann? Eure Lehrerin? Ich glaube ja, oder?«
»Leider«, murmelt Alena. »Nicht einmal hier hat man vor den Paukern seine Ruhe.«
»Na, na, mit Frau Bollmann habt ihr aber wirklich Glück.« Meine Mutter ist bereits auf dem Vormarsch, um sie zu begrüßen. »Ich habe sie ja mal beim Elternabend gesehen, aber das ist auch schon wieder Monate her! Ich möchte ihr doch wenigstens Guten Tag sagen.«
»Vielleicht will sie das gar nicht.« Ich halte sie am Arm fest. »Glaubst du nicht, dass sie am Nachmittag auch mal ihre Ruhe haben und ungestört einkaufen will?«
Mama sieht mich irritiert an. »Wenn du meinst …«, sagt sie schließlich. Im selben Moment jedoch wendet Frau Bollmann sich zu uns um, und auch Corvin dreht seinen Kopf in unsere Richtung. Sieht mich und erstarrt. Wir erstarren beide. Grau sieht er aus, die Haut, die Augen. Die Haare über der Stirn sind wieder zerwuschelt, vielleicht hat sie das gemacht. Seine Lippen wirken schmal mit einem bitteren Zug um die Mundwinkel, den ich vorher noch nie wahrgenommen habe. Corvin leidet. Genau wie ich. Auch Frau Bollmann blickt irritiert, als hätte man sie bei etwas Verbotenem erwischt, fängt sich jedoch schnell wieder. Mit kontrolliertem Lächeln und festem Schritt eilt sie auf uns zu.
»Valerie, Alena«, japst sie, »und Frau Glimm!« Sie gibt uns allen dreien die Hand, an ihrem Gesicht sehe ich ganz genau, dass sie uns nicht sehen will, uns verflucht. Mit einer Hand greift sie hinter Corvins Rücken und schiebt ihn einen Schritt nach vorn.
»Das ist unser neuer Referendar, Herr Schwarze.« Noch immer ist sie außer Atem. »Ihre Tochter hat Ihnen sicher bereits von ihm erzählt. Herr Schwarze hat einen Teil der Stunden im Englisch-Leistungskurs übernommen.«
»Was die Schule betrifft, hält sich Valerie leider recht bedeckt«, äußert meine Mutter. »Aber das ist vermutlich bei den meisten jungen Menschen in diesem Alter so. Sie sind ja schon fast erwachsen und wollen alles mit sich allein ausmachen.«
Frau Bollmann nickt, schon ein wenig abwesend, ganz leicht
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