Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Themse

Schwarze Themse

Titel: Schwarze Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
als er sich auf seine verletzte Schulter drehte.
    Â 
    Bei Tagesanbruch erreichte er die Docks. Die Flut lief rasch ein, füllte die Senken im Schlamm, kroch an den Mauern hoch und überflutete die abgebrochenen Pfosten des Piers. Die Luft war rau. Das anbrechende Tageslicht besaß die Klarheit von Eis, und die harten weißen Finger der aufsteigenden Morgensonne fanden jede noch so kleine Welle. Die Spanne und das Takelwerk der Schiffe zeichneten komplizierte rabenschwarze Linien in den Himmel, und der Wind schmeckte salzig.
    Monk stand allein da und schaute in die Sonne, als diese sich hinter dem Horizont erhob, um dem Tag die wärmeren Farben zu verleihen. Vielleicht hatte er heute Abend schon alles erledigt, was er hier zu tun hatte. Dann würde er sein Geld bekommen haben und konnte sich wieder in den gewohnten Straßen, wo er die Diebe, die Informanten, die Pfandleiher und Hehler kannte, ja sogar die Polizisten, bewegen. Er würde nicht mehr verdeckt arbeiten müssen, selbst wenn es sich hauptsächlich um kleinere Fälle handelte.
    Er genoss die eisige Luft, die er einatmete, und sah zu, wie das Sonnenlicht sich auf dem Wasser ausbreitete. Das würde er vermissen. Auf der Straße war man nie allein, um die Schönheit zu genießen.
    Auf dem Fluss herrschte bereits reges Leben. Die ersten Barkassen lagen schwer beladen tief im Wasser. Ein Fährmann
war fleißig, die Ruder bewegten sich rhythmisch, und von den ostwärts gerichteten Ruderblättern tropften, wenn sie sich aus dem Wasser hoben, Diamanten.
    Als Monk den Fluss hinunterschaute, fiel sein Blick auf das Schiff. Zuerst war es nur ein weißes Aufblitzen, aber je näher es kam, desto größer wurde es, bis er an den fünf hoch aufragenden Masten die Segel erkennen konnte. Großsegel, untere Großsegel, untere Marssegel, obere Marssegel, Bramsegel und Oberbramsegel flatterten im unbeständigen Wind. Eine strahlende Erscheinung, ein Traumgeschöpf, ganz Macht und Grazie.
    Monk stand wie gebannt da, alles andere war vergessen: der Rest des Flusses, der übrige Verkehr, die Leute um ihn herum auf den Docks. Erst als die Sonne ganz aufgegangen war und Licht in jede Ecke strömte und sowohl das Schäbige als auch das Neue zeigte, die Faulen und die Fleißigen und der Klipper schließlich vor Anker lag, bemerkte Monk, dass Scuff mit verklärter Miene neben ihm stand.
    Â»Meine Güte!«, seufzte er mit großen Augen. »Das reicht, um einen an Engel glauben zu lassen, was?«
    Â»Ja«, antwortete Monk in Ermangelung einer besseren Beschreibung. Dann fand er, dass sie ziemlich gut passte. In dieser Mischung aus Macht, Schönheit und Wirkung lag wahrlich etwas Göttliches. »Ja«, sagte er noch einmal.
    Scuff war noch voller Ehrfurcht in dem Augenblick gefangen.
    Es widerstrebte Monk, aber er verstand, warum Louvain von der Leidenschaft besessen war, ein solches Schiff zu besitzen. Es bedeutete viel mehr als Geld oder Erfolg, es war eine Art Zauber, es verkörperte die Herrlichkeit eines Traums. Es weckte einen Hunger nach Weite und Licht, ein Ausmaß an Freiheit, das auf andere Weise nicht zu erlangen war.
    Monk riss sich mit Mühe davon los. Er konnte sich nicht länger darin verlieren. »Ich muss jemanden finden, der mir hilft, umsonst«, sagte er laut.
    Â»Ich helfe Ihnen.« Scuff löste den Blick widerstrebend vom
Fluss. In seiner rauen Wirklichkeit gab es nur selten Augenblicke, in denen er sich so gehen lassen konnte. »Was wollen Sie?«
    Â»Leider brauche ich einen Erwachsenen.«
    Â»Ich kann vieles, was Sie nicht glauben würden. Und ich bin fast elf – glaube ich jedenfalls.«
    Monk schätzte ihn eher auf neun, sagte aber nichts. »Ich brauche sowohl Größe als auch Verstand«, schwächte er die Ablehnung ab. »Ich dachte, ein Mann namens Crow könnte mir vielleicht helfen. Weißt du, wo ich ihn finden kann … ohne dass sonst jemand davon erfährt?«
    Â»Den Arzt? Klar, schätze schon. Sie bringen ihn doch nicht in Schwierigkeiten, oder?«, fragte Scuff ängstlich. »Ich glaube, er ist kein Kämpfertyp.«
    Â»Ich will auch nicht, dass er kämpft, er soll nur anbieten, etwas zu kaufen.«
    Â»Ich weiß, wo er wohnt.« Er schien verschiedene Dinge abzuwägen. Loyalitäten lagen miteinander im Konflikt, neue Freunde gegen alte, Gewohnheit gegen Abenteuer, jemand, der ihm half, wenn er

Weitere Kostenlose Bücher