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Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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ausgerechnet in einer Situation wie jetzt zu verlieben? Gefühle wie diese machten ihm in Wahrheit Angst. Wenn er tief in sich hineinlauschte, dann wusste er auch, warum. Er hatte Angst davor, dass er es wieder verbocken würde.
    In diesem Moment vernahm er auf der Galerie die leisen Schritte nackter Füße. Millepertia? Seine Zimmertür wurde einen Spaltbreit aufgezogen, und Lukas stellte sich schlafend. Einen Moment lang beschlich ihn die törichte Hoffnung, dass sie ihm einen heimlichen Besuch abstatten wollte und sich seine Sehnsüchte erfüllten. Doch sie war offenbar nur darauf bedacht nachzusehen, ob er auch wirklich schlief. Schon war sie wieder fort. Was hatte sie vor? Plante sie unten irgendeinen Hexenzauber? Oder wollte sie gar den Turm verlassen? Wenn ja, wohin? Und würde sie sie damit nicht in Gefahr bringen, entdeckt zu werden?
    Lukas schlüpfte in seine Stiefel und schnappte sich seine Jacke. Anschließend schlich er leise auf die Galerie und beugte sich verstohlen über die Brüstung.
    Im Halbdunkel, jenseits des großen Pendels, konnte er sie sehen. Millepertia ging mit ihrem Hexenbesen in den Händen zu einem der Turmfenster und zog die Leinenbespannung beiseite. Rittlings bestieg sie den Stecken und warf sich in die Nacht.
    Jetzt hielt Lukas nichts mehr. Möglichst leise stürmte er die Treppenstufen nach unten, schnappte sich den anderen Flugbesen und eilte ebenfalls zum Fenster. Worms erstreckte sich unter ihm als gewaltiges Lichtermeer. Er fügte sich an den Glasscherben eine Wunde zu, packte den Besen fester und warf sich mit ihm ebenfalls nach draußen.
    Kühle Luft strich über seinen Körper, und aus der Ferne war Motorenlärm zu hören, während er sich aufmerksam am Nachthimmel umschaute. Er befürchtete bereits, Millepertia verloren zu haben, als er ihre dunkle Silhouette etwas weiter entfernt über dem Dächermeer erblickte. Umgehend raste er auf dem Besen in ihre Richtung. Sie hielt auf die beleuchtete Brücke über den Rhein zu, der sich unter ihnen als schwarzes, sanft glitzerndes Band von Nord nach Süd erstreckte.
    Millepertia gewann an Höhe, offenbar um nicht von einem der Nachtschwärmer erblickt zu werden, und er tat es ihr gleich.
    Lukas spürte wieder, wie seine Handwunde zu prickeln begann, doch es war ihm egal. In respektabler Entfernung folgte er ihr, wie sie den Strom querte und das Stadtgebiet hinter sich ließ. Unter ihnen kamen schachbrettmusterartig angelegte Felder und kleinere Ortschaften in Sicht, als Millepertia ein dunkles Gebiet ansteuerte, das sich als Wäldchen entpuppte. Zunehmend verlor sie an Höhe und steuerte eine in der Dunkelheit kaum wahrnehmbare Lichtung an, wo sie behutsam aufsetzte. Von dort aus lief sie zu Fuß weiter.
    Lukas überlegte, ebenfalls zu landen. Doch vermutlich hätte er dort unten bloß Geräusche verursacht. So wartete er einen Moment, sank dann, ließ sie nicht aus den Augen und verfolgte sie weiter auf dem Besen. Im Schutz der Baumwipfel flog er hinter ihr her, bis sie einen kleinen Hügel erreichte, der von hohen Buchen umgrenzt wurde.
    Sie lehnte den Besen gegen einen der Bäume, und im Mondlicht sah er mit an, wie sie vor dem Hügel auf die Knie ging und den Erdboden berührte. Dann begann sie eine alte Volksweise in altertümlicher Mundart anzustimmen, die er noch nie gehört hatte. Das Lied hatte etwas Beruhigendes an sich. Lukas ließ sich auf dem Besen tiefer sinken, achtete darauf, keine Zweige zu streifen, und landete auf einem moosbewachsenen und tief verschatteten Baumstumpf, der nur wenige Meter von dem Hügel entfernt lag. Gespannt hielt er den Atem an, denn Millepertias Körper überzog sich mit blühendem Hartheu und sorgte so dafür, dass sich der Bewuchs auch auf dem Hügel ausbreitete.
    Was tat sie da? Lukas verengte die Augen, als die Wolkendecke aufbrach und der Mond den Hügel in silbernes Licht tauchte.
    Millepertia hatte inzwischen aufgehört zu singen. Stattdessen zupfte sie auf dem Hügel zwischen der Pflanzendecke herum und weinte leise. Lukas ging das Geräusch durch und durch, doch wagte er es nicht, sich zu rühren.
    »Dies ist ein Abschied für immer, mein Schatz«, schluchzte sie leise und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich werde bald sterben. Sehr bald schon. Der Himmel hat es mir prophezeit. Danach werden wir einander nie wiedersehen. Denn der Ort, an dem meine Seele dann weilt, ist dem deinen so fern, dass es mir unmöglich sein wird, dich zu besuchen. Es tut mir so leid.« Sie wischte

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