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Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Schwarze Tränen: Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Tränen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
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und über mit seltsamen Kreidesymbolen bekritzelt waren. Auf dem Boden ruhte eine große Holzwanne, die bis zum Rand mit Wasser gefüllt war; daneben standen zwei Stühle. Auf einem von ihnen lag ein im Kerzenschein blitzender Handspiegel, auf dem anderen saß ein kaum zehnjähriger Junge mit braunem Wuschelkopf, neben dem ein Becher mit Kakao stand. Mit schläfrigem Blick starrte er auf die Wasseroberfläche.
    Konsterniert blieb Lukas im Eingang stehen. »Verdammt, wer ist das?«
    »Ein Knabe«, antwortete Abraham.
    »Scheiße, das sehe ich. Aber was sucht er hier? Wer ist das?«
    »Ehrlich gesagt, habe ich ihn nicht nach seinem Namen gefragt.« Abraham versuchte sich an einem aufbauenden Lächeln. »Ich habe ihn vorhin auf der Straße abgefangen. Vor dem Abendbrot bringe ich ihn wieder zurück zu seinen Eltern. Na ja, vielleicht ein bisschen später.«
    »Seid ihr
wahnsinnig?
« Lukas starrte Zauberer und Hexe entsetzt an. »Ihr könnt doch nicht einfach ein
Kind
von der Straße entführen!«
    »Das tun wir üblicherweise auch nicht«, sagte Millepertia betreten. »Aber heute geht es nicht anders. Bei der Kaptromantie benötigen wir einen unschuldigen Jungen oder eine schwangere Frau als Medium, die noch nicht in den neunten Monat getreten ist. Abraham hat bloß keine Schwangere gefunden.«
    »Und was soll das sein, diese Kaptromantie?«
    »Es handelt sich dabei um eine alte Wahrsagekunst, bei der man Luftgeister in ein Wasserbecken bindet«, dozierte Abraham. »Im Anschluss positioniert man einen Spiegel im Wasser, und das Medium erkennt darin das, was der ausführende Zauberer zu wissen wünscht.«
    »Trotzdem, ihr könnt dazu doch nicht einfach ein Kind …«
    »Würdet Ihr mir freundlicherweise unsere Alternativen benennen?«, fragte Abraham. »Sollten wir Eurer Überzeugung nach unsere Hände in den Schoß legen und warten, bis uns unsere Gegner wieder einen Schritt voraus sind? Sicherlich nicht, nicht wahr? Demnach ist es ratsam, dass wir die Initiative ergreifen. Wir müssen herausfinden, was Euer Ahne plant und ob er gleichfalls über die Hinweise im Bilde ist, die Euch der Erzbischof am Kandel mitteilte. Auf der ganzen Welt gibt es womöglich lediglich zwei oder drei Zauberer, die der Kaptromantie mächtig sind. Einer von diesen steht vor Euch. Die meisten glauben, diese Weissagungsmethode sei mit den alten Römern ausgestorben. Faust wird nicht damit rechnen, dass er auf diese Weise ausgespäht werden kann. Und jetzt bewahrt Contenance, junger Mann. Dem Jungen wird nichts geschehen.«
    »Das würde ich auch niemals zulassen«, ergänzte Millepertia matt.
    Lukas kochte innerlich, aber ihm fiel nichts ein, was er seinen Begleitern hätte entgegensetzen können. Abraham hatte ja recht. Und auch wieder nicht. Zum Speien war das alles. »Na gut, dann beeilt euch wenigstens«, knurrte er.
    Abraham wies Lukas an, die Tür zu schließen und sich auf den Rand des Beckens zu setzen. Dann bat er um Ruhe. Konzentriert starrte er den Jungen an und begann zu singen. Es war ein leiser, hypnotischer Gesang in einer fremden Sprache, und Lukas musste unwillkürlich gegen die aufsteigende Müdigkeit ankämpfen. Plötzlich spürte er einen Luftzug im Raum, der die Kerzen zum Flackern brachte und das Wasser im Becken in Vibrationen versetzte.
    Rasch glättete sich die Oberfläche wieder, dann erhob sich der Junge ruckartig von seinem Stuhl. Millepertia ließ den Handspiegel ins Wasser gleiten.
    »Sieh in den Spiegel. Konzentriere dich auf einen Mann namens Doktor Johann Faust«, sprach der Zauberer beschwörend.
    Das Kind beugte sich mit weit aufgerissenen Augen vor und starrte ins Becken.
    »Was siehst du?«
    Die Lippen des Jungen bebten, und es dauerte eine Weile, bis seine helle Kleinjungenstimme zu hören war. »Ich sehe ihn neben einem fünfzackigen Stern, der sich in einem Kreis befindet«, wisperte er. »Da sind überall schwarze Kerzen. Ganz viele. Und … in dem Stern steigt etwas auf. Wie Blasen in einem See.«
    »Was genau steigt aus dem Stern heraus? Kannst du es sehen?«
    »Ja, jetzt. Ein Tier. Ein Pferd mit hellem Fell. Nein. Da sind Knochen. Ich glaube, das Pferd ist tot. Aber trotzdem kann es sich bewegen.«
    Abraham verengte die Augen. »Siehst du noch etwas?«
    »Ja. Auf dem Pferd sitzt ein Reiter. Ein … Knochenmann. Ich glaube, das ist der Tod.« Plötzlich weinte der Junge und verzog sein Gesicht in namenlosem Grauen. »Der Knochenmann sieht mich an. Er sieht mich an!«
    »Unterbrechen Sie das.

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