Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
war, würden Sie einwilligen.«
»Ich glaube nur nicht, dass sich Ms Blake dadurch beeinflussen lässt, Barbara.« Er tätschelte ihr die Hand, doch sie reagierte überhaupt nicht darauf, so als hätte die Berührung gar nicht stattgefunden. Mir wurde klar, wer die treibende Kraft hinter dieser tragischen Farce war. Eine Farce war es jedenfalls. Sie machte nicht den Eindruck, als wollte sie lediglich von ihrem toten Sohn erfahren, wer ihn umgebracht hatte, sondern als wollte sie mich überreden, die Lazarusnummer an ihm zu vollbringen, ihn wirklich ins Leben zurückzuholen. Hatte Bert ihr das nicht angemerkt, oder hatte er es ignoriert, um das Problem mir zu überlassen?
»Er war ein Ass in Leichtathletik und im Footballteam.« Sie schlug das Jahrbuch an den entsprechenden Stellen auf, und ich sah Stevie Brown mit voll konzentriertem Gesicht beim Staffellauf. Er hatte dunkle, halblange Haare. Dann sah ich ihn in Footballmontur am Boden knien, neben sich den Helm. Er grinste in die Kamera, die Stirnfransen hingen ihm über die Augen. Er hatte die Haare seines Vaters und das Gesicht seiner Mutter, ausgenommen Lippen und Augen, die waren auch vom Vater.
Ein anderes Foto zeigte ihn bei der Redaktion des Jahrbuchstabs, ganz ernst über einen Leuchttisch gebeugt. Er sah aus wie ein Leichtathlet, dünn und muskulös. Für die Footballmanschaft hätte ich ihn nicht ausgesucht. Dafür hatte er zu wenig Körpermasse. Aber wer weiß, vielleicht hätte er sich in dem Sommer zwischen dem dritten und vierten Jahr noch entwickelt. Doch dazu kam es nicht mehr.
Beim Schulball, er und seine Freundin als König und Königin. Man sah sie vor einer Kulisse aus silbernen Sternen und zu vielen Pailletten. Er strahlte übers ganze Gesicht. Er hatte sich einen Haarschnitt machen lassen, der ordentlich aussah und seinem Gesicht mehr schmeichelte als die Frisur, die er beim Staffellauf gehabt hatte. Seine Schultern waren ein bisschen breiter als auf den anderen Fotos, und in dem weißen Smoking sah er größer aus. Das Mädchen war blond und sah aus wie seine Mutter, nur schlanker und größer. Sie wirkte hübsch und selbstbewusst, ihr Lächeln vielleicht eine Spur rätselhafter als Stevies. Wenn man sie so sah, war ganz offensichtlich, dass sie keinerlei Bedrohung ahnten. Sechs Stunden später waren sie tot gewesen.
»Cathy und Stevie waren zwei Jahre zusammen. Ein Highschoolpärchen, genau wie Steve und ich damals.« Sie neigte sich nach vorn und leckte sich immer wieder über die Lippen, als hätte sie einen trocknen Mund.
Ihr Mann tätschelte ihr ständig die Hand und blickte mich mit seinen schönen dunklen Augen an, die stark an seinen Sohn erinnerten. Die Augen und sein müdes Gesicht gaben mir zu verstehen, dass es ihm leidtat. Leid, dass ich mir das ansehen, anhören, hier sein musste.
Ich war nicht der Typ für subtile Blickbotschaften. Ich konnte lediglich verständnisvoll nicken und ihm mehr Blickkontakt gewähren als ihr. Er nickte mir zu, als Barbara es nicht sehen konnte. Da, wir hatten unseren Moment stillen Einverständnisses, der typisch Mann ist. Ich sehe dich, ich sehe dich auch. Ich verstehe, was du meinst; ich verstehe auch, was du meinst. Wäre ich ein braveres Mädchen gewesen, hätte ich etwas gesagt, um mich zu vergewissern.
»Das klingt, als wäre er ein wunderbarer Mensch gewesen«, sagte ich.
Sie beugte sich noch weiter vor. Sie hielt ein kleines Fotoalbum in der Hand, eines von den dicken, die Großmütter in der Handtasche mit sich herumtragen. Sie blätterte und zeigte mir Fotos von einem dunkelhaarigen Säugling, einem Kleinkind, einem Grundschüler.
Ich legte eine Hand auf ihre, damit sie nicht weiter umblätterte. »Mrs Brown, Barbara …«
Sie wollte mich nicht ansehen. Ihre Augen glänzten stärker.
»Mrs Brown, Sie brauchen mir nicht zu beweisen, dass ihr Sohn ein guter Junge war. Ich glaube Ihnen das.«
Mr Brown stand auf und wollte ihr helfen, das Album wegzustecken. Sie ließ es aber nicht zu, und er setzte sich nicht durch. Er stand hilflos da und ließ die Arme hängen.
Sie beugte sich wieder über den Schreibtisch und blätterte eine Seite um. »Hier wird er gerade Sieger beim Schulwettbewerb in Naturwissenschaften, da war er im fünften Schuljahr.«
Ich wusste nicht, wie ich dem ein Ende machen sollte, ohne grausam zu werden. Ich lehnte mich zurück und sah mir keine Fotos mehr an. Ich fing Steves Blick auf. Auch seine Augen wirkten feuchter. Wenn sie beide anfingen zu weinen, würde
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