Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
aber in meinem Kopf flüsterte er: »Ma petite, du wirfst kein Messer, keine einzelne Klinge, sondern Magie. Wenn du damit ein kleines Stückchen seiner Macht gegen ihn wenden kannst, dann doch sicher auch die ganze?«
Ich wollte schon fragen, was er meinte, als er es mir zeigte. Die Antwort kam mir wie von selbst. Ich verstand und zögerte nicht. Ich zögerte nie, wenn ein Leben auf dem Spiel stand.
Ich zielte nicht mit einer Handbewegung wie bisher. Es war kein Ballspiel. Ich dachte an seine schützende Aura, die den ganzen Körper umgab, und warf meine Kräfte hinein, und als ich seine Aura im Ganzen spürte wie mit einer zärtlichen Berührung, richtete ich sie gegen ihn. Ich verwandelte sie in lauter einwärts gerichtete Klingen. Primo war plötzlich ringsherum von Dolchen umgeben.
Er blutete am ganzen Leib. Er schrie, und Blut quoll ihm aus dem Mund, denn er schrie aus einem Hals, der an etlichen Stellen durchstochen war. Schreiend ließ er den bewusstlosen Mann los.
Clay und der schwarzhaarige Werwolf griffen nach ihm und zogen ihn über seine leblosen Freunde zu sich heran, um ihn wegzutragen. Ich hätte mich gern vergewissert, ob ihre Wiederbelebungsversuche erfolgreich waren, doch ich hatte andere Probleme.
Primo stürmte los, um uns anzugreifen, stolperte aber und fiel. Ich begriff, dass ich ihn geblendet hatte. Er würde nicht für immer blind sein, aber doch lange genug, jedenfalls heute Abend.
Er brüllte und kreischte, als schluckte er Glasscherben. »Verflucht, Jean-Claude, allein bist du nicht mächtig genug dafür. Du warst noch nie mächtig genug dafür.«
»Bist du nach St. Louis gekommen, um mich zu vernichten und meinen Platz einzunehmen?«
Primo richtete sein blutiges Gesicht nach Jean-Claudes Stimme aus. »Warum nicht? Warum sollte ich nicht Meister dieser Stadt werden?«
»Weil du nicht einmal dich selbst beherrschen kannst, Primo, darum. Macht allein genügt nicht, um eine Stadt zu regieren.«
Ich wollte mich nach ihm umdrehen und ihn sprechen sehen, aber eigentlich brauchte ich das nicht. In dem Moment fühlte ich mich ihm näher, als wenn ich bei ihm gestanden und seine Hand gehalten hätte, und mir wurde klar, was ich vorher nur vage wahrgenommen hatte: Er hatte die Verbindung zu seinem menschlichen Diener offener, intimer genutzt als je zuvor. Ich hätte wütend werden sollen, war es aber nicht.
Einer der Kellner beugte sich über den Bewusstlosen, den Primo hatte töten wollen. Er hatte ihm den Kopf in den Nacken gebogen und atmete in seinen Mund. Der Mann zuckte und holte hörbar Luft.
Der schwarzhaarige Werwolf, dessen Namen ich nicht kannte, zeigte uns den aufgerichteten Daumen. Der Student hatte es also überlebt und würde wieder auf die Beine kommen. Auch die doppelte Menge Rausschmeißer hätte ihn nicht rechtzeitig aus Primos Gewalt befreien können. Nichts anderes als Magie hätte ihn befreit, ohne Primo zu töten, obwohl ich mir nicht sicher war, ob das gut war. Ich fand, wir sollten Primo töten, und zwar sofort, bevor er sich erholte.
Jean-Claude flüsterte in mir: »Wenn jemand stirbt, wird es viel schwieriger sein, alle zu überzeugen, dass hier nichts Schlimmes passiert ist.«
Ich schüttelte den Kopf und dachte, dass es unmöglich wäre, die Erinnerung bei so vielen Zuschauern zu löschen, dafür würden sämtliche Vampirtricks der Welt nicht ausreichen. Nicht bei einem so traumatischen Erlebnis.
»Du zweifelst an mir, ma petite?« Plötzlich stand er hinter mir. Seine schlanke weiße Hand erschien auf meiner Schulter in einem Kranz weißer Spitze in einem schwarzsamtenen Ärmelsaum.
Ich griff nach der Hand, und sie war kalt, als hätte er noch nichts zu sich genommen oder seine Energie verausgabt. Der Samt fühlte sich wärmer an als die Haut. Er war ausgelaugt. Wie viel Energie hatte die Gedankenübertragung mit mir verbraucht? Oder war etwas passiert, von dem ich noch nichts wusste?
Die übrigen Sicherheitsleute begannen sich langsam und vorsichtig zu bewegen. Man sah, dass ihnen einiges wehtat. Primo merkte das wohl, denn er sagte: »Selbst blind sind sie kein Gegner für mich.«
Er bewegte sich in der Hocke vorwärts. Das musste höllisch wehtun, aber er zuckte nicht mal zusammen. Mit einer blutigen Hand stützt er sich am Boden ab, die andere hielt er in die Höhe, als spürte er Bewegung. Das sah mir unangenehm nach Kampfsport aus. Er war ein Hüne, ein Vampir, nahezu schmerzunempfindlich, verrückt und dann auch noch in Kampfkunst ausgebildet.
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