Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
Jean-Claude aber nicht. Ich wollte ihn nicht bei der Arbeit stören, er sollte sich aber auch nicht übergangen fühlen. Ich warf ihm eine Kusshand zu, als er gerade die Frau aus seinen Armen entließ. Er erwiderte die Geste. Seine Kinnpartie war mit rotem Lippenstift beschmiert. Es sah nicht wirklich wie Blut aus, nicht wenn man den Anblick von echtem Blut kannte. Trotzdem nahm man ein leicht beunruhigendes Bild mit nach Hause, wenn man den Club verließ. Ein anderer von meinen Männern stand lächelnd neben mir. Er freute sich schon darauf, dass ich mit ihm vor allen Leuten Vorspielpraktiken vollführte. Manchmal haben die Bereiche meines Lebens, die mir am unheimlichsten sind, gar nichts mit Vampiren und Werwölfen und Zombies zu tun. Nicht mal Vampirintrigen verwirrten mich so sehr wie mein eigenes Liebesleben.
39
W ir standen auf der Gravois Road im Stau vor einer langen Ladenfront, die schon bessere Tage gesehen hatte. Das ganze Viertel entwickelte sich allmählich zu einer Gegend, die man nach Anbruch der Dunkelheit meiden sollte. Es war noch nicht richtig gefährlich, aber wenn nichts dazwischenkam, würde es in zwei, drei Jahren so weit sein. Das Bevo Mill, das in einer echten Windmühle untergebracht war und noch immer erstklassiges deutsches Essen servierte, ragte aus einem Meer schäbiger Gebäude und harter Zeiten hervor. Die Windmühlenflügel drehten sich ein gutes Stück vor uns, und plötzlich fuhren wir durch die Unterführung daran vorbei. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie ich zu der Unterführung gekommen war. Das war nicht gut. Mir fehlten mehrere Minuten, als wäre ich kurz bewusstlos gewesen. Das war überhaupt nicht gut, denn ich saß am Steuer. Ich hörte Graham schon zum zweiten Mal scharf Luft holen, Sie wissen schon, wie wenn man einen Schreckensschrei unterdrückt.
Ich sah ihn von der Seite an. »Was denn? Was ist dein Problem?«
»Du hättest beinahe zwei Wagen angefahren«, krächzte er.
»Hab ich nicht.«
»Doch«, sagte Requiem vom Rücksitz.
Vor mir erschien ein weißer Wagen wie aus dem Nichts, wie durch Magie. Ich stieg auf die Bremse, und Graham holte schon wieder scharf Luft. Mir schlug das Herz im Hals. Ich hatte den Wagen nicht gesehen. Ich blinkte nach rechts. Rechts hieß, dass ich keine anderen Fahrspuren kreuzen musste. Der plötzlich auftauchende Wagen hatte mich erschreckt.
Ich bog auf die Grasso Plaza ein, an der sich eine Postfiliale, ein Discounter und eine Menge leerer Ladenlokale befanden. Der ganze Straßenzug wirkte müde, als hätte er lange sein Bestes gegeben, und es hätte nicht gereicht. Aber vielleicht war das nur Projektion von mir. Ich stellte den Motor ab, und eine Minute lang war es still.
»Geht es dir gut?«, fragte Requiem. Seine Stimme klang fern und hallend, als spräche er aus einem tiefen Brunnen.
Ich drehte mich tatsächlich um und sah ihn an, und selbst das Umdrehen kam mir langsamer vor als sonst, als bewegte ich mich nicht mit derselben Geschwindigkeit wie die übrige Welt.
Requiem saß einfach auf dem Rücksitz und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Er war nicht weit weg und tat auch nichts Ungewöhnliches. Er saß sehr still, als wollte er möglichst keine Aufmerksamkeit erregen.
»Was hast du gesagt?« Meine Stimme klang genauso hohl. Sie hallte durch meinen Kopf.
»Geht es dir gut?«, wiederholte er langsam und deutlich, und als ich auf seine Lippen schaute, kam es mir vor, als bewegten sie sich nicht synchron.
Ich musste nachdenken, als hätte er mir eine schwierige Frage gestellt. »Nein«, sagte ich schließlich. »Nein, ich glaube nicht.«
»Was ist los?«, fragte Graham.
Was war los? Gute Frage. Leider hatte ich keine gute Antwort. Was war los? Das waren Anzeichen einer Schockreaktion. Woher kam die? Hatte ich mehr Blut verloren als gedacht? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Mir war kalt, und ich kauerte mich in die geliehene Jacke und verbarg das Gesicht hinter dem hochgeklappten Kragen. Byrons Rasierwasser und sein Geruch klebten daran. Ich zuckte zusammen, denn der Geruch seiner Haut an dem Leder ließ die Erinnerung hochkommen. Gerüche rufen stärker als jede andere Wahrnehmung Erinnerungen wach, und plötzlich überschwemmten mich die sinnlichen Eindrücke von Byrons Körper. Ich sah ihn auf mich herunterblicken, spürte sein Gewicht und seine Beckenbewegungen.
Ich sank gegen den Sitz und warf den Kopf in den Nacken. Die ganze Erregung war wieder da und durchströmte mich. Es war nicht genau gleich,
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