Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
Stelle war.«
Er neigte sich an die Rückenlehne von Grahams Sitz heran und ein bisschen näher zu mir. »Ist das wahr? Hast du das wirklich so empfunden?«
Ich drehte den Kopf und sah ihm in die Augen. Ich zeigte ihm, wie emotionslos mein Blick war, wie leer ich mich fühlte. »Du bist ein Meistervampir, du kannst es doch riechen, wenn jemand lügt.«
Er leckte sich über die Lippen, als wäre er nervös. »Ich kannte mal einen Vampir, der das auch konnte. Sie hat das mit Absicht gemacht. Sie rief eine lustvolle Erinnerung wach und suchte sich jemanden aus, dem sie sie geben konnte. Das konnte eine Belohnung sein, und so empfand man es auch. Sie tat es aber auch zur Bestrafung. Dann suchte sie sich jemanden aus, der solche Erregung nicht erleben wollte, und zwang sie ihm auf.«
»Eine Form der Vergewaltigung«, sagte ich.
Er nickte.
»Du sprichst von Belle Morte, stimmt’s?«
Er nickte wieder.
»Sie genoss es, die Leute sexuell erregt zu sehen, besonders, wenn die sich dagegen sträubten«, sagte ich.
»Das klingt wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage.«
»Ich bin ihr ja einmal begegnet, weißt du noch?«
»Ja, du hast recht. Sie sah am liebsten zu, wenn prüde Frauen und Männer sich am Boden wälzten und eine ungekannte Lust erlebten. Es hat ihr gefallen, rechtschaffene Leute zu erniedrigen.«
»Ja, das sieht ihr ähnlich.«
»Aber du hast nichts empfunden. Es hat dich nicht erregt, Graham so zu sehen.«
»Warum sollte es das?«
Darauf lächelte er und guckte ziemlich erleichtert. »Dass du diese Frage stellst, verringert meine Sorge um dich ungemein.«
»Sorge um mich? Weshalb?«
»Es wird seit Jahrhunderten spekuliert, ob Belle durch die Ardeur so geworden ist oder ob sie schon immer so war und nur durch die Macht schlimmer geworden ist.«
»Nach meiner Erfahrung verstärkt sich in den Leuten, was in ihnen steckt, das Gute wie das Schlechte. Gibt man einer wirklich guten Person Macht, bleibt sie gut. Gibt man einer schlechten Person Macht, ändert sich an ihrem schlechten Charakter nichts. Nur bei denen, die zwischen den beiden Extremen liegen, bei den Durchschnittlichen kann man nichts vorhersagen. Man weiß selten, wie so jemand wirklich ist.«
Er bekam einen seltsamen Gesichtsausdruck. »Das ist wahrhaft weise gesprochen.«
Ich musste lächeln. »Du klingst überrascht.«
Er verneigte sich, soweit das auf dem Rücksitz möglich war. »Bitte um Vergebung, aber offen gestanden sah ich in dir bisher mehr Muskeln als Hirn. Keine Dummheit«, beeilte er sich zu versichern, »aber jedenfalls keine Weisheit. Intelligenz vielleicht, aber keine Weisheit.«
»Ich glaube, ich werde das Kompliment annehmen und über die Beleidigung hinwegsehen.«
»Es war nicht als Beleidigung gemeint, Anita, beileibe nicht.« Er strahlte eine gewisse Ängstlichkeit aus.
»Keine Sorge, ich nehme es dir nicht übel. Viele Leute unterschätzen mich.«
»Sie sehen die zarte Schönheit, aber nicht den Killer«.
»Ich bin keine zarte Schönheit.«
Er runzelte leicht die Stirn. »Du bist ganz offensichtlich eine zarte Erscheinung, und du bist schön.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht schön, hübsch vielleicht, aber nicht schön.«
Er machte große Augen. »Wenn du dich nicht als schön betrachtest, dann siehst du jemand anderen, als ich ihn gerade vor mir habe.«
»Hübsche Worte, aber ich bin tagtäglich von den schönsten Männern umgeben, die derzeit tot oder lebendig herumlaufen. Ich kann mich hübsch zurechtmachen, aber unter echten Schönheiten falle ich gar nicht auf.«
»Es mag wahr sein, dass deine Schönheit nicht sofort ins Auge springt wie Ashers oder Jean-Claudes oder sogar Nathaniels, gleichwohl ist es Schönheit. Vielleicht die kostbarere, denn man entdeckt sie nicht beim ersten Hinsehen, dafür aber jedes Mal ein bisschen mehr, wenn man mit dir spricht oder zusieht, wie du so souverän in eine Situation hingehst, oder man die Wahrheit in deinen Augen sieht, wenn du behauptest, du seist nicht schön, und es tatsächlich meinst. Ich sehe, dass du nicht die Bescheidene spielst und kein neckisches Spiel treibst, sondern dich selbst nicht so siehst.«
»Da hast du’s: Du siehst keine Schönheit, sondern jemand Hübsches mit einer Persönlichkeit, die dir gefällt.«
»Aber verstehst du denn nicht, Anita? Es gibt Schönheit, die ins Auge springt, dass es tränt und man geblendet ist. Sie ist mehr Verhängnis als Genuss. Aber deine, deine ist eine Schönheit, die einen aufs Angenehmste
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