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Schwarzer, Alice

Schwarzer, Alice

Titel: Schwarzer, Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die grosse Verschleierung
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Rechten noch mit sozialen Normen oder öffentlicher Ordnung. Der
Islam ist im Unterschied dazu eine Religion, die nicht nur für den rituellen
Bereich, sondern auch für Fragen des Alltags und des sozialen Zusammenlebens,
des Familienrechts und des Strafrechts mit zahlreichen Regeln behaftet ist, die
nach konservativer Lesart auch im deutschen Kontext so weit wie möglich zur
Anwendung zu bringen sind.
    So stützen muslimische Verbände ihren umfangreichen Forderungskatalog
auf Artikel 4 des Grundgesetzes und subsumieren unter freier
Religionsausübung: die Akzeptanz islamischer Kleidung in Schulen, Behörden und
allen Bereichen des öffentlichen Lebens; die partielle Befreiung muslimischer
Kinder von der Schulpflicht; den deutschsprachigen islamischen Religionsunterricht,
Lehrstühle für die Ausbildung islamischer Religionslehrer und Imame, die
uneingeschränkte Genehmigung von Moscheebauten, die Erlaubnis zum
lautsprecherverstärkten Gebetsruf, die Beteiligung von Muslimen an den
Aufsichtsgremien der Medien; die unbeschränkte Zulassung des muslimischen
Schächtens; den staatlichen Schutz der beiden islamischen Feiertage; die
Einrichtung muslimischer Friedhöfe und Grabfelder usw. usw. Auch zur Schaffung
paralleler Institutionen von zinsfreien Kreditinstituten über islamische
Schulen bis hin zur parallelen Geltung islamischen Personenstandrechts gibt es
mehr als erste Überlegungen. Von der Forderung einer umfassenden Geltung der
Scharia in Europa ist man mehrheitlich weit entfernt, doch bleibt sie für viele
gläubige Muslime die ideale Lebensordnung, der sie nicht grundsätzlich
entsagen wollen. Kein Gesetz darf den Menschen über Gott stellen und Weisungen
aus Koran und Überlieferung relativieren.
    Die hierzulande herrschende übertriebene Bereitschaft zu
Sonderreglungen für Muslime führt zur Teilung von Rechten, die für alle gelten
sollten: zur Benachteiligung muslimischer Mädchen und Frauen und zur Förderung
parallelgesellschaftlicher Strukturen, die so manches Mal gerne in Kauf
genommen oder sogar als Modell für eine gesamtgesellschaftliche Lösung gesehen
werden. »Unser Handeln und unsere Rollen als Muslime in der nichtmuslimischen
Gesamtgesellschaft zielen gar nicht darauf ab, uns im engeren Sinn in diese
Gesellschaft zu integrieren, sondern vielmehr darauf, diese Gesellschaft im
Verlauf ihrer ohnehin und natürlicherweise stattfindenden Fortentwicklung und
Veränderung zu befördern.«
    Angesichts solcher Entschlossenheit täte uns etwas mehr
Achtung der eigenen Normen und Werte unbedingt gut im Dialog mit dem Islam. Dies
betrifft sowohl die Handlungsebene als auch die weltanschauliche Ebene. Zwei
Beispiele dafür: Inmitten der politischen Debatte über das Kopftuch von
Lehrerinnen ließ die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs bereits 2005 wissen,
diese Bekleidung falle unzweifelhaft unter das Recht der Muslimin auf freie
Religionsausübung. Darüber hinaus sei völlig irrelevant, welcher Eindruck im
Umfeld, also aufseiten der Schülerinnen und Schüler, entstehe; der Staat habe
ohnehin nicht das Recht, das Kopftuch als religiöses Zeichen zu interpretieren
oder zu bewerten.
    Nachdem 2006 das Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen in
Nordrhein-Westfalen Gesetz wurde, kam es zur Nagelprobe: Ausgerechnet Maryam
Brigitte Weiss, Lehrerin, Konvertitin, Frauenbeauftragte und stellvertretende
Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) weigerte sich, das
Gesetz zu befolgen. Delikat daran ist nicht nur, dass der ZMD bei jeder Gelegenheit
wortreich seine Gesetzestreue beteuert, sondern auch die Deutlichkeit, mit der
Weiss sich von der Befolgung dieses Gesetzes distanzierte. Sie erklärte: »Das
Letzte, was ich tun würde, wäre Zugeständnisse an eine Gesellschaft zu machen,
wenn ich damit gegen Grundsätze meiner Religion verstoßen müsste!« Dies ist
eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie selbstbewusst der organisierte
Islam in offenen Konflikten zwischen islamischem Rechtsdenken und hiesiger
Rechts- und Werteordnung agiert.
    Aber auch mit unserer Selbstachtung ist es nicht immer zum
Besten bestellt. Im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2006 erwartete ein
Hotel in Bad Nauheim den Besuch der saudischen Fußball-Nationalmannschaft. Die
Angestellten wurden zur dezenten Bekleidung angewiesen und lernten elementare
arabische Ausdrücke. Mithilfe eines >Islam-Beraters< wurden die Zimmer
vorbereitet: Entfernung aller alkoholischen Getränke aus der Minibar, Kappung
der zur Verfügung

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