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Schwarzer, Alice

Schwarzer, Alice

Titel: Schwarzer, Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die grosse Verschleierung
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Weder das
Kreuz noch die Kippa noch das islamische Kopftuch dürfen innerhalb eines Schulgebäudes
getragen werden. Auch wenn die Kontroverse weitergeht in der Öffentlichkeit: In
den Schulen ist es ruhig geworden an der Kopftuchfront. Nach dem Machtwort des
Gesetzgebers vor fünf Jahren ist die Sache klar: Das Verbot wird befolgt,
Mädchen mit Kopftuch gibt es nicht mehr in den Klassen; der »muslimische
Schleier« sei »kein Thema mehr«, erklärt die Pressesprecherin des
Bildungsministeriums.
    Vor fünf Jahren war das noch anders: Als das Gesetz im September
2004 in Kraft trat, kamen 626 Schülerinnen noch mit Kopftuch zur Schule, vor
allem im Elsass. 90 Prozent der Fälle wurden im Dialog gelöst. Auch elf aus
Nordindien eingewanderte Sikhs wollten weiterhin ihren Turban tragen, drei von
ihnen wurden des Gymnasiums verwiesen. Rückblickend erinnert sich die
Pressesprecherin des Erziehungsministeriums an »45 ungeklärte Fälle« im
Schuljahr 2004/5. Zehn Jahre zuvor, im Schuljahr 1994/95, waren rund 3.000
Kopftuch-Mädchen in französischen Schulen gezählt worden.
    Die meisten Schülerinnen finden heute das Kopftuch-Verbot
richtig. »Ich sehe nicht ein, wieso Musliminnen ein Kopftuch tragen und
Christinnen nicht«, erklärt ein 15-jähriger Schwarzer auf dem Pausenhof des
Lycee Voltaire. »In der Schule sind alle gleich.« Der Glaube sei im Herzen,
pflichtet sein muslimischer Freund bei, den brauche man nicht zu zeigen. »Das
gilt für alle: weder Kreuz noch Schleier noch Bart!« Und eine gleichaltrige
Muslima sagt: »Ein verschleiertes Mädchen in der Schule würde mich stören. Denn
dann fängt es an: Die eine ist verschleiert, sie gilt als anständiges Mädchen,
die andere nicht, das ist eine Nutte.«
    In dieser Schule im elften Pariser Arrondissement gehen
1.500 Schülerinnen zwischen zehn und 18 Jahren entweder ins College (die
Gesamtschule) oder aufs Gymnasium. Sie haben 30 verschiedene Nationalitäten.
»Nur wenn jeder seine Religion zu Hause lässt, ist ein besseres Auskommen
untereinander möglich«, erklärt Jean-Pierre Mongenie, bis 2007 Leiter des Lycee
Voltaire. In den Pariser Schulen gab es schon immer nur wenige Problemfälle,
erklärt College-Leiterin Fabienne Delmedico: »Eher in den sehr schwierigen
Schulen in den Vororten. Und da hilft das Gesetz.«
    Das Verbot des Kopftuchs stand am Ende von jahrzehntelangen
Auseinandersetzungen. 1989 kam es zur sogenannten »Schleier-Affäre«, als der
Schulleiter einer Gesamtschule im Pariser Vorort Creil drei Schülerinnen vom
Unterricht ausschloss, weil ihr Kopftuch als religiöses Zeichen nicht vereinbar
sei mit der Schulordnung. Die Debatte beherrschte jahrelang die Schlagzeilen.
Es begann ein Krieg um Worte und Zentimeter, je nach Größe des Kopftuchs,
»Bandana« (ein Band ums Haar) oder Schleier, sichtbar oder »ostentativ« (laut
Duden gleichbedeutend mit »bewusst herausfordernd, zur Schau gestellt; in
herausfordernder, provozierender Weise«). In Creil einigten sich Eltern und
Schule letztendlich einen Monat später darauf, dass die Mädchen ihre
Kopftücher am Schultor ablegen.
    Je nach Schule und Schuldirektor wurden von nun an Schülerinnen
mit Kopftuch vom Unterricht ausgeschlossen oder nicht. Der liberale
Erziehungsminister Bayrou versuchte 1994, der »Schleier-Diskussion« ein Ende zu
setzen. Seine ministerielle Weisung, wonach Kopftuch tragende Schülerinnen vom
Unterricht ausgeschlossen werden können, ging zwar in Richtung eines Verbots,
wurde jedoch vom Staatsrat (Verfassungsgericht) in Einzelfällen für ungültig
erklärt.
    Muslimische Organisationen unterstützten Kopftuch tragende
Mädchen und ermutigten deren Eltern, vor Gericht ihr »Recht auf
Religionsfreiheit« durchzusetzen. 1999 bestätigte dann das Verwaltungsgericht
in Caen den Schulverweis zweier türkischer Mädchen, die sich selbst im
Sportunterricht weigerten, das Kopftuch abzulegen. Die schwammige Regelung von
Dialog und Fall-zu-Fall-Entscheidungen galt bis zum gesetzlichen Verbot 2004,
unter konservativen Regierungen wie unter sozialistischen.
    2002 wird Nicolas Sarkozy von Präsident Chirac zum Innenminister
ernannt, der auch für die Religionen zuständig ist. Ihm gelingt es, die
französischen Muslime in einem Rat zu organisieren. Er will damit den Einfluss
ausländischer fundamentalistischer Länder reduzieren, denn bis dahin
finanzierte zum Beispiel Saudi-Arabien Moscheen. Dass im neuen Rat der Muslime
die fundamentalistische Organisation UOIF stark repräsentiert

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