Schwarzer Engel
bevor sie zu weinen anfing. »Hast nur zu tun, was ich sage, oder ich neh’m die Tausend Kröten und flieg’ nach Boston rauf! Und wenn ich dann bei deiner Großmutter Jillian bin, die wie ein mißgebildetes Kind aussieht, werd’ ich ihr mal reinen Wein einschenken, über ihr kleines Engelsmädchen, das von Boston fortlief. Werd’s alles rausspucken, diese Berghütte ohne fließendes Wasser drinnen, und Pa und seine Schwarzbrennerei, und seine fünf Brüder, alle im Knast, und wenn dann Jillian alles von ihrem kleinen Engelsmädchen hört, wie’s leben mußte, bevor’s starb, schaut sie sicher nicht mehr so jung aus. Werd’ ihr von Pa erzähl’n, wie er schon Shirleys Puff besuchte, während er noch mit ihr verheiratet war. Werd’
ihr was von den Gerichtsvollziehern erzähl’n, vom Hinterhaus und vom Gestank und vom Hunger, den ihr kleines Mädchen aushalt’n mußt. Und ich werd’ ihr Bild vom kleinen Mädchen zerkratzen, wie’s auch passiert ist, als sie ohne Arzt entbind’n mußt, nur mit Grannys Hilfe. Und wenn ich dann mit mei’m Red’n fertig bin, mit all den mistigen Sachen über dich, dann wird se dich endlich hass’n – wenn se nich das bißchen Verstand verliert, das se noch übrig hat!«
Wieder konnte ich Fanny nur verblüfft anstarren, betroffen, daß sie mich so sehr hassen konnte, während ich mein Leben lang mein Bestes für sie gegeben hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich jemandem gegenübertreten sollte, der so besessen wirkte wie sie. Nervös fuhr ich mir mit den Händen übers Haar und wollte in Richtung Tür gehen. »Du gehst jetzt nicht, Heaven Leigh Casteel!« Ihr schriller Sarkasmus weckte vertraute Töne in meinen Ohren, für die ich mich schämte. Oh, sie kannte alle Tricks, um mich zutiefst zu verletzen, indem sie mich daran erinnerte, wer ich war und woher ich kam.
Mir war kälter, als ich mich je gefühlt hatte, dabei war es Hochsommer, und das Sommergewitter hatte den heißen Tag nur erfrischt, aber nicht kühler gemacht.
»Werd’ alles tun, um dich zu verletzen – bis du gehst und mein Baby holst und se mir zurückbringst!«
»Du weißt, daß ich das nicht kann«, sagte ich nochmals. Ich hatte Fanny und ihre schrille Stimme so satt, daß ich mir wünschte, nie gekommen zu sein.
»Was kannste denn für mich tun? Eh? Kannste mir alles geb’n, was de selbst bekommen hast? Gibste mir ’n Zimmer in dem Riesenhaus, damit ich auch an dem Spaß hab’, was dir gehört? Wennste mich lieb hättest, wie’s de immer behauptest, hätt’st mich gern dort, woste mich jeden Tag seh’n könnt’st.«
Mir wurde immer kälter. Die letzte Person, die ich jeden Tag sehen wollte, war Fanny. »Tut mir leid, Fanny«, begann ich mit eisiger Stimme, »ich möchte dich nicht in meinem Leben haben. Einmal im Monat werde ich dir Geld schicken, genug, damit du bequem durchkommst, aber du wirst nie dorthin eingeladen werden, wo ich lebe. Sieh mal, der Mann meiner Großmutter nahm mir das Versprechen ab, nie irgendeinem aus meiner Casteel-Verwandtschaft zu gestatten, seinen perfekten Lebenslauf zu zerstören. Solltest du jetzt versuchen, mich zu erpressen, indem du mir drohst, du würdest ihm erzählen, daß ich dich und Tom getroffen habe, dann vergiß das schnell wieder. Denn er würde mich ohne einen Cent aus seinem Leben streichen, so einfach, wie du mit deinen Augen klimperst – und dann gäb’s kein Geld mehr für dich – und auch keines mehr, um dein Baby zurückzukaufen.«
Ihre zusammengekniffenen schwarzen Augen verengten sich noch mehr. »Wieviel wirste mir denn alle Monat’ schick’n?«
»Genug!« biß ich zurück.
»Dann schick doppelt so viel, denn wenn ich mal mein Baby habe, werd’ ich jeden Cent brauche, den du übrig hast. Und wennste mich enttäuscht, Heaven Casteel, werd’ ich ’nen Weg in dein Leben finden, und ich werd’ mich ’nen Dreck drum scher’n, ob de alles verlierst! Verdienst’s eh nich!«
Keinen Moment lang zweifelte ich daran, daß Fanny nicht genau tun würde, was sie gesagt hatte. Schon um es mir heimzuzahlen, daß ich die Erstgeborene war und etwas besaß, was sie für eine Art unsichtbaren Vorteil hielt, während mir nie irgend etwas Günstiges passiert war, bis mich Logan an ihrer Stelle gewählt hatte.
Und erst dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich hatte ihr nicht geglaubt, als sie es gesagt hatte. Logan war der Grund für ihren Haß! Die ganze Zeit hatte sie ihn gewollt, während er sie nie richtig wahrgenommen hatte,
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