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Schwarzer Engel

Schwarzer Engel

Titel: Schwarzer Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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brachte Großpapa dazu, so im Kirchenstuhl zusammenzusacken, daß er bei seinen Bemühungen, gehorsam zu verschwinden, fast auf dem Rückgrat saß. »Setz dich gerade«, zischte ich und gab ihm einen scharfen Stoß mit dem Ellenbogen. »Laß dich nicht von ihnen einschüchtern.« Aber Großpapa blieb, wo er war, und klammerte sich an seinen abgetragenen, alten Strohhut, als ob’s ein Schild wäre.
    Schweigend, mächtig und eindrucksvoll stand Reverend Wise hinter dem Pult und sah mich unverwandt an. Die Distanz von ihm zu mir betrug ungefähr sechs Meter, aber trotzdem hatte ich den Eindruck, so etwas wie eine Warnung in seinen Augen zu bemerken.
    Offensichtlich hatte er den Gottesdienst schon zuvor eröffnet, denn er begann nicht mit einem seiner langatmigen Gebete, die sich immer endlos dahinzogen. Er begann mit geschmeidiger Stimme im Konversationston, weitschweifig und jovial. Nun, er war wie die Bibel – zweideutig –, und seine Worte konnten alles bedeuten. In melodiösem Sing-Sang sprach er weiter, wobei er nie seine Augen von mir wandte. Aber ich mußte meine Blickrichtung ändern oder riskierte, aus purer Ehrfurcht paralysiert zu werden, denn er besaß wirklich hypnotische Kräfte.
    Aus der Menge der vielen, verstohlenen Blicke traf ich dann auf zwei vor Wut funkelnde, harte, grüne Augen unter dem schmalen Rand eines grünen Strohhutes – Reva Setterton, die Mutter von Kitty Dennison, starrte verächtlich zu mir her!
    Eiswasser lief mir den Rücken hinab. Wie konnte ich auch nach Winnerow zurückkommen, ohne einen einzigen Gedanken an Kittys Familie zu verschwenden? Erst jetzt sah ich mich offen um, ob ich Logan oder seine Eltern entdecken würde. Sie waren nicht da. Gott sei Dank. Ich hob die Hände an die Stirn, die beängstigend heiß wurde, schmerzte und pochte. Ungewohnte Gefühle attackierten mich, machten mich schwindelig und versetzten mich fast in Trance.
    Plötzlich richtete sich Großpapa auf, erhob sich zittrig und packte meine Hand, um mich auf die Füße stellen zu können.
    »Siehst nich so besonders aus«, murmelte er. »Wir gehören auch gar nich hierher.« Ich war schwach, also erlaubte ich ihm, mich auf diese Weise um mein Ziel zu bringen. Trotzdem war für einen alten Mann sein Griff nach meiner Hand so kräftig, daß sich die Ringe an meinen Fingern ins Fleisch gruben. Ich folgte ihm ins Hintere der Kirche, und dort setzten wir uns wieder.
    Der pulsierende Schmerz in meinem Kopf wurde stechend scharf. Was tat ich eigentlich hier? Ich, ein Niemand, ein Nichts, kam, um mit dem Mann zu kämpfen, der der siegreiche Gladiator in Winnerows sonntäglicher Arena bleiben mußte.
    Ziemlich bestürzt sah ich mich in der überfüllten Kirche in der Hoffnung um, ein paar freundliche Augen zu finden… aber was hatte bloß der Reverend gesagt, daß sie mich alle anstarrten?
    Gesichter verschwammen zu einem einzigen, gewaltigen Klumpen mit riesigen, feindseligen Augen, und die Sicherheit, die Troys Liebe mir geschenkt hatte, blätterte wie frische Farbe von nassem Holz ab. Zitternd und geschwächt von dem Haß, der mir von allen Seiten entgegenschlug, wollte ich aufstehen, fortlaufen und Großpapa hier herausschleppen, bevor die Löwen aus den Käfigen gelassen würden!
    Wie Dornröschen, das in einem feindlichen Lager zu sich kommt, verlor ich den verzauberten Zustand, der an dem Tag, an dem ich Farthinggale Manor betrat, begonnen hatte. Am Tag, an dem ich Troy gefunden hatte, hatte er sich sogar noch verstärkt.
    Jetzt wirkten sie weit weg und unreal, nur Einbildungen meiner viel zu heftigen Phantasie. Ich blickte auf meine Hände hinunter, während ich den Verlobungsring mit dem neunkarätigen Diamanten zu drehen anfing. Troy hatte darauf bestanden, daß ich ihn trug, auch wenn wir nie heiraten sollten.
    Anschließend spielte ich gedankenlos mit meiner Perlenkette, an der ein Anhänger mit Diamanten und Saphiren baumelte –
    ein besonderes Verlobungsgeschenk von Troy. Merkwürdig, daß ich mich jetzt an diesen harten Juwelen festhalten mußte, um mich selbst zu vergewissern, daß ich nur Tage vorher in einem der berühmtesten und reichsten Häuser gelebt hatte. In dieser Sonntagnacht in der Kirche hatte die Zeit sich selbst verloren.
    Ich wurde alt, und dann wieder jünger. Meine fiebrigen, schmerzenden Knochen brauchten dringend ein Bett.
    »Laßt uns gemeinsam die Köpfe senken und beten«, wies der Reverend an, der endlich aufhörte, mich mit Blicken festzunageln. Ich konnte wieder freier

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