Schwarzer Engel
durchdachte, mußte ich Toms störrischen Stolz beiseite schieben, denselben, den ich auch hatte. Dann hatte ich mich plötzlich auf irgendwelchen Landstraßen verfahren. Ich mußte zurückstoßen und wenden, um die richtige Straße zu finden, die mich zu Tom und dem Haus bringen würde, in dem Pa mit seiner neuen Familie lebte.
Ein Stück von Florida war hier heimlich nach Georgia eingedrungen und gab der Landschaft einen fast tropischen Anstrich. Als ich mich meinem Ziel näherte, hielt ich den Wagen an der Straßenseite an, um mein Make-up aufzufrischen. Zehn Minuten später kam mein langer, dunkelblauer Lincoln vor einem niedrigen, ausgedehnten Landhaus im modernen Stil zum Stehen.
Innerlich hatte ich eine dumpfe Ahnung von einem sensationellen Ereignis und das gab mir ein unwirkliches Gefühl: Die vielen Meilen gefahren zu sein, um mich wieder in die Reichweite von Pa’s Grausamkeit zu begeben. Was für ein Narr war ich bloß?
Ich schüttelte den Kopf, blickte noch mal kurz in den Rückspiegel, um mein Äußeres zu prüfen, und dann sah ich wieder zu dem modernen Haus hinüber. Es war aus rötlichen Zedernholzschindeln gebaut. Das flache Dach ging über die vielen Fenster hinaus, um Schatten zu spenden. Viele Bäume warfen Schatten auf das Dach, gut gepflegte Sträucher säumten die Mauern, während sich von den Sträuchern weg Blumenbeete nach draußen hinzogen. Ach, sicher wollte Pa mit diesem Haus, das vier bis fünf Schlafzimmer haben mußte, der Welt etwas beweisen. Und kein einziges Mal hatte Tom auch nur eine Andeutung fallen lassen, womit Pa denn genug Geld verdiente, um so ein Haus bezahlen zu können.
Wo war bloß Tom? Warum kam er nicht zur Tür heraus, um mich zu begrüßen? Schließlich wurde ich ungeduldig, stieg aus dem Auto und ging den Fußweg zur zurückgesetzten Tür entlang. Ich hatte Angst, Pa selbst könnte es sein, der auf mein Klopfen antwortete, gegen Toms Versprechen, uns nicht zusammenzubringen. Aber mit mir war alles in Ordnung. Mein Designer-Kostüm, das über tausend Dollar gekostet hatte, war so gut wie eine Rüstung. Meine kostbaren Ringe, Ketten und Ohrringe waren mein Schild und mein Schwert. In meiner Kleidung hätte ich Drachen erschlagen können – oder so etwas Ähnliches, dachte ich. Ungeduldig drückte ich auf die Türklingel, drinnen hörte ich ein Glockenspiel ein paar Noten spielen. Mein Herz klopfte nervös und mein Magen flatterte vor Panik. Dann hörte ich Schritte näher kommen. Als die Tür aufging, hatte ich Toms Namen auf den Lippen.
Jedoch es war nicht Tom, wie ich mir erhofft und erbeten hatte. Es war auch nicht die gefürchtete Gestalt von Pa. Statt dessen stieß eine sehr hübsche, junge Frau mit blonden Haaren und strahlend blauen Augen die Tür auf und lächelte mich an, als ob sie sich noch nie vor Fremden gefürchtet hätte oder irgend jemanden nicht ausstehen könnte.
Sie machte mich mit ihrem frischen, unschuldigen Eindruck sprachlos, wie sie da reglos hinter der Sicherheitstüre stand.
Mit einem Lächeln wartete sie darauf, daß ich mich vorstellte.
Sie hatte weiße Shorts und ein blaues Stricktop an.
Ganz selbstverständlich hielt sie auf einem Arm ein Kleinkind, das schläfrig wirkte. Das also mußte Drake sein, der Sohn, der Pa so ähnlich sah… sein dritter Sohn.
»Ja, bitte…?« forderte sie mich auf, während ich die Sprache verloren hatte.
Verblüfft stand ich da und starrte auf eine Frau und einen kleinen Jungen, deren Leben ich leicht vernichten konnte, wenn ich nur wollte.
Und jetzt, da ich hier war, wußte ich auf Grund eines Schocks, daß ich nicht nur gekommen war, um Tom zu retten.
Ich hatte ein tiefergehendes Motiv: Das Glück zu zerstören, das Pa sich aufgebaut hatte. Alles, was ich hätte herausschreien können, um sie dazu zu bringen, Pa zu hassen, steckte mir wie ein Kloß im Hals, so daß ich Schwierigkeiten hatte, meinen Namen zu murmeln.
»Heaven?« fragte sie mit einem erfreuten Ausdruck. »Du bist Heaven?« Ihr Begrüßungslächeln wurde noch tiefer. »Du bist die Heavenly, von der Tom immer erzählt? Ach, wie schön, dich endlich kennenzulernen. Komm herein, komm herein!«
Sie öffnete die Vorsatztür, setzte dann den kleinen Jungen auf die Couch und zog selbstbewußt ihr blaues Top nach unten.
Ihre Augen blickten rasch in den nächsten Wandspiegel, um ihr Äußeres zu prüfen. Daraus konnte ich schließen, Tom hatte ihr nicht erzählt, ich würde um elf Uhr erwartet werden.
Keinen Gedanken hatte ich an
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