Schwarzer Engel
drei, vier.
»Mach, daß sie weggeht!« schrie Unsere-Jane laut.
Es war der schlimmste Augenblick meines Lebens.
Jahrelang hatte ich mich nach ihnen gesehnt, hatte davon geträumt, sie zu finden und zu retten, und jetzt wollten sie mich nicht. »Ich gehe schon«, antwortete ich rasch und ging rückwärts zur offenen Tür. »Ich habe einen schrecklichen Fehler begangen, und es tut mir leid. Ich habe keinen von euch je zuvor gesehen!«
Dann rannte ich, rannte, so schnell es meine hohen Absätze erlaubten, direkt auf die wartende Limousine zu. Als ich mich dann auf den Rücksitz geworfen hatte, brach ich in Tränen aus.
Unsere-Jane und Keith hatten an dem Tag, als Pa sie verkaufte, nichts verloren. Sie waren als Sieger aus dem Spiel der Chancen hervorgegangen.
13. KAPITEL
FAMILIENBANDE
Keine Stunde länger hielt ich es in dieser Stadt aus. Ich sammelte meine sieben Sachen aus dem Hotel zusammen, und die Limousine brachte mich zum Flughafen, wo ich das nächste Flugzeug nach Atlanta bestieg. Ich fühlte mich verzweifelt, weil ich unbedingt an der Vergangenheit festhalten wollte, aus der ich sonst eilends flüchten wollte –
denn ich wollte keinesfalls mein neues Leben mit Troy beginnen, nur um herauszufinden, daß ich meine Familie verloren hatte. Zu Tom würde ich gehen, und dort die herzliche Begrüßung finden, nach der ich mich sehnte. Dort wäre der liebevolle Bruder, der versprochen hatte, mir immer ein echter Blutsbruder zu sein.
Drei-, vier-, fünfmal läutete das Telefon, ehe eine tiefe, vertraute Stimme antwortete. Einen qualvollen Moment lang hatte ich das Gefühl, Pa könne mich durch die Telephonleitung hindurch sehen. Wie versteinert stand ich in der Telephonzelle.
»Ich würde gern Tom Casteel sprechen«, brachte ich endlich fertig, heiser zu flüstern. Es geschah mit einer so fremden Stimme, daß ich darauf vertraute, der Mann, den ich haßte, würde seine Erstgeborene nicht wiedererkennen. Mein Dasein hatte er schließlich in seinem Leben noch nie mit irgendeinem Gefühl von Wärme zur Kenntnis genommen. Beinahe konnte ich sein Indianergesicht vor mir sehen, als er zögerte, und einen herzzerreißenden Augenblick lang dachte ich, er könnte fragen: »Bist du’s, Heaven?«
Aber er tat’s nicht. »Wen darf ich denn Tom melden?« Oho, hört, hört! Irgend jemand brachte Pa passende Ausdrücke und gutes Benehmen bei. Ich schluckte und erstickte fast. »Eine Freundin.«
»Bitte, bleib dran«, antwortete er, als ob er das jeden Tag hundert Mal für Tom machen würde. Ich hörte, wie er den Hörer niederlegte, hörte seine Schritte auf hartem Untergrund, und dann brüllte er in typischer Hillbilly-Art los: »Tom, da ist wieder mal eine von deinen anonymen Freundinnen am Telephon. Ich wünschte, du würdest ihnen sagen, sie sollten mit dem Anrufen aufhören. Jetzt rede aber nicht länger als fünf Minuten. Wir müssen die Show fertigmachen.«
Das dumpfe Geräusch von Toms Füßen, der heranlief, war über die vielen Meilen, die uns trennten, deutlich zu hören.
»Hallo!« grüßte er atemlos.
Ich war verdutzt, wie sehr sich seine Stimme verändert hatte; er klang ganz ähnlich wie Pa. Ich hatte Mühe mit dem Sprechen, und während ich noch zögerte, mußte Tom wohl der Geduldsfaden gerissen sein. »Wer du auch bist, sprich jetzt, denn ich habe keine Minute zu verschenken.«
»Ich bin’s, Heaven… Bitte sprich meinen Namen nicht aus, und verrate Pa nicht, wer dran ist.«
Überrascht atmete er ein. »He, das ist ja toll! Super! Gott, was bin ich froh, von dir zu hören. Pa ist nach draußen in den Hof gegangen, um bei Stacie und dem Baby zu sein. Du brauchst also nicht zu flüstern.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
Tom überbrückte das verlegene Schweigen: »Heavenly, ’s ist das drolligste Wutzel, hat schwarze Haare und tiefbraune Augen mitbekommen, weißt schon, genauso ein Sohn, wie ihn Ma Pa schenken wollte…« Abrupt hörte er zu reden auf, aber ich wußte genau, er hatte hinzufügen wollen: »Er sieht Pa heruntergerissen ähnlich.« Statt dessen meinte er: »Warum sagst du denn gar nichts?«
»Wie schön, daß Pa immer bekommt, was er will«, kommentierte ich verbittert. »Einige Leute haben diesbezüglich Glück.«
»Los, Heaven, hör auf damit! Sei fair. Das Kind hat doch keine Schuld. Es ist so verflixt drollig, und sogar du müßtest das zugeben.«
»Wie hat denn Pa seinen dritten Sohn genannt?« fragte ich aus purer, gehässiger Rachsucht.
»Eh, ich kann den
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