Schwarzer Engel
hatte, sie würden sich zu mir umdrehen, richteten ihre erstaunten aufgerissenen Augen direkt auf mich! Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte!
Der Hund jaulte noch lauter, und aus Angst, daß die Rawlings nun gewarnt waren, stand ich rasch auf und ging durch die unversperrte Tür. Weder Keith noch Unsere-Jane sagten einen Ton. Stocksteif wirkten sie, wie sie da auf dem Boden vor ihrem bunten Murmelkreis saßen.
Jetzt war es zu spät, ungesehen zu entwischen. Ich versuchte ermunternd zu lächeln. »Ist schon gut«, sagte ich weich und blieb unmittelbar hinter dem Türrahmen stehen. »Ich werde nichts unternehmen, um euer Leben zu stören. Ich wollte nur euch beide wiedersehen.«
Immer noch starrten sie mich an, ihre rosigen Lippen waren leicht geöffnet, die riesigen Augen wurden immer dunkler, als sich Schatten über die türkisfarbenen Augen von Unserer-Jane legten und den Goldton in denen von Keith noch vertieften.
Das Hündchen strich mir schwanzwedelnd um die Füße, schnüffelte an meinen Knöcheln und stellte sich dann auf die Hinterpfoten, um an meinem Rock zu kratzen.
Sanft, ganz sanft, um sie nicht noch mehr zu ängstigen, sagte ich: »Keith, Unsere-Jane, schaut mich an. Sicher habt ihr doch nicht vergessen, wer ich bin?«
Ich lächelte, weil ich noch immer annahm, sie würden begeistert losschreien, sobald sie mich erkannt hätten. Genauso wie ich sie schon so oft in meinen Träumen hatte rufen hören:
»Hevlee! Du bist da! Du hast uns gerettet!«
Aber keiner von ihnen sagte so etwas. Ein bißchen linkisch stand Keith auf. Die Pupillen seiner goldbraunen Augen erweiterten sich mit jedem Herzschlag. Besorgt warf er einen Blick auf Jane, zupfte an seiner grünen Krawatte, preßte die Lippen zusammen, sah dann wieder mich an und wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Sein ganzes Leben hatte er es so gemacht, wenn er durcheinander und verwirrt war.
Unsere-Jane verhielt sich nicht so schweigsam. Blitzartig sprang sie auf die Beine, wobei sie die Murmeln in alle Richtungen zerstreute. »Geh weg!« schrie sie, schlang die Arme um Keith und drückte sich fest an ihn. »Wir wollen dich nicht!« Sie öffnete den Mund zum Schreien.
Ich konnte die Furcht, die beide zeigten, einfach nicht glauben. Konnte nicht glauben, daß keiner wußte, wer ich sei.
Sie hielten mich für eine Fremde, vielleicht eine Vertreterin, und man hatte sie gewarnt, ja niemanden hereinzulassen.
Verblüfft fing ich zu sprechen an und nannte ihnen meinen Namen. Der Brocken in meinem Hals ließ meine Stimme fast versagen, so daß mein Name rauh, fremd und kaum hörbar herauskam.
Das reizende Gesicht von Unserer-Jane färbte sich beunruhigend weiß und nahm einen hysterischen Gesichtsausdruck an. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte ich, sie würde zu spucken anfangen, wie so oft in der Vergangenheit. Keith sah in ihr Gesicht und wurde ebenfalls einige Grade blasser. Wütend starrte er mich an, während in seinen Augen immer wieder zornige kleine Lichter an- und ausgingen. Erkannte er mich? Versuchte er, sich zu erinnern?
»Mami!« jammerte Unsere-Jane mit hoher, dünner Stimme und klammerte sich an Keith. »Vati…!«
»Schschscht!« warnend legte ich den Zeigefinger über meine Lippe. »Ihr braucht keine Angst zu haben, ich bin keine Fremde und werde euch nichts tun. Als ihr noch in den Bergen gelebt habt, kanntet ihr mich sehr gut. Erinnert ihr euch noch an die Berge, die die Willies heißen?«
Ich schwöre bei Gott, Unsere-Jane wurde noch blasser. Sie schien kurz davor zu sein, bewußtlos zu werden. Meine Gefühle wirbelten durcheinander. Ich konnte keinen Entschluß fassen. Diese Reaktion hatte ich mir vorher nicht ausgemalt.
Sie sollten doch entzückt sein, mich zu sehen! »Vor langer Zeit hattet ihr beide eine Familie in den Bergen und jeden Werktag trotteten wir durch die Wälder zur Schule und wieder nach Hause. Sonntags gingen wir zur Kirche. Wir hatten Hühner, Enten, Gänse, manchmal eine Kuh und immer jede Menge Hunde und Katzen. Ich bin’s, eure Schwester, die ihr immer Hevlee gerufen habt! Ich wollte euch nur sehen und von euch erfahren, daß ihr glücklich seid!« Das Geschrei von Unserer-Jane war wahnsinnig laut, wurde jetzt panisch!
Bevor Keith einen Schritt nach vorne machte, schob er seine Schwester beschützend hinter sich. »Wir kennen dich nicht«, meinte er mit seiner rauhen, zitternden Knabenstimme.
Nun war ich an der Reihe, blaß zu werden. Seine Worte kamen wie Ohrfeigen, eins, zwei,
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