Schwarzer Koks (German Edition)
vorbeikommenden Kellners. Um ein Haar hätte sie den Mann umgerannt.
Sir George kam durch die Tische auf sie zu. Mit seinem sorgfältig gekämmten Silberhaar, den hohen Wangenknochen und dem Designeranzug nebst leuchtend roter Krawatte wirkte er eher wie ein blaublütiger Playboy als ein in die Jahre gekommener Bürokrat.
»Was zum Teufel machen Sie hier?«, zischte er und führte sie in die angeschlossene Lounge, deren raumhohe Verglasung einen Panoramablick auf das neue London bot. »Es könnte Sie jemand erkennen.«
»Unmöglich. Meine Tarnung ist wasserdicht.«
»Wenn ich Ihnen meine Jungs schicke, dann erwarte ich, dass Sie ihnen folgen.«
»Wie bitte?«
»City Airport.«
»Ich arbeite am besten allein.«
»Sie tun, was ich sage. So ist es abgemacht. Sei’s drum, ich habe Sie nicht so früh zurückerwartet.«
»Ich bekam einen Tipp, dass man Tony auf die Spur gekommen ist.« Sir Georges Augen wurden schmal. Wieso kam sie sich neben dem Mann nur immer gar so klein vor? »Irgendein Cop hat ihn erschossen.«
»Ein Polizist? Sind Sie sicher, dass es nicht Nathan Kershner war?«
»Was? Ich dachte, Kershner würde noch nicht mal in die Nähe des Falles kommen. Das haben Sie garantiert.«
Sir George schien sie nicht zu hören. Er rieb sich gedankenverloren das Kinn.
»Der Bursche wird mir langsam zu kess.«
»Wieso?«
»Er war eben in Putumayo. Er hat eines der Labors gefunden und einen Vorrat Black Coke.«
»Wie das denn?«
»Cedric hat ihn hingeschickt, ohne mir was zu sagen. Dieser hinterhältige kleine Scheißkerl.«
»Ich frage mich, ob…«
»Ob was?«
»Nein, nichts.«
»Ob er über Sie Bescheid weiß?« Sir George tätschelte Amonites Schulter. »Das bezweifle ich. Es sei denn, meine Gute, Sie sind unvorsichtig geworden.«
Amonite waren Gerüchte über einen Weißen aus einer NRO zu Ohren gekommen, der sich mit Menschenrechtsverletzungen in Putumayo befasst haben sollte. Sie hatte auf der Jagd nach Überlebenden des Überfalls auf das Dorf sogar einen Weißen im Wald gesehen. Sie hatte ihn abzuschießen versucht. Ob das wohl dieser Nathan Kershner gewesen war?
»Was genau ist passiert?«, fragte Sir George.
Amonite fasste zusammen, was ihr Informant in der Islingtoner Wache ihr während eines raschen Anrufs kurz zuvor geflüstert hatte.
»Tony hat den Polizisten erstochen?«, hakte George nach. »Das dürfte nützlich sein.« Er beugte sich vor. »Ich bin sicher, dass der Typ bei ihm Nathan Kershner gewesen ist. Der Kerl war von Anfang an ein wandelndes Pulverfass. Wenn Sie mit El Patrón sprechen, sagen Sie ihm, er soll sich keine Sorgen machen. Ich werde meinen Laden mal ein bisschen aufmischen. Und Sie unternehmen in der Zwischenzeit was.«
»Gegen Kershner?«
»Nicht doch, das wäre nun wirklich zu verdammt offensichtlich. Gebrauchen Sie Ihren Verstand, meine Gute. Ich könnte das nie unter den Teppich kehren. Cedric würde durchdrehen.«
»Also jemanden, der Kershner nahesteht?«
»Korrekt. Machen Sie sie etwas kopfscheu. Jagen Sie unserem Freund einen tüchtigen Schrecken ein.«
Sir George tätschelte ihr wieder die Schulter. Amonite erstarrte. Wie konnte er es wagen, sie derart herablassend zu behandeln. Sie hätte gute Lust gehabt, ihm seine Spitznase zu Brei zu schlagen.
»Wie war Jamaika?«, fragte Sir George. »Wie macht sich unser Reverend?«
»Ausgezeichnet.«
»Er kann sich keine Schnitzer leisten. Das wissen Sie?«
»Der Reverend ist hundert Prozent vertrauenswürdig. Er war immer zuverlässig.«
»Jamaikaner und vertrauenswürdig…« Sir George warf einen Blick auf seine Uhr. Amonite wusste, das Gespräch war zu Ende.
»Da wäre noch was«, sagte sie.
»Hm?«
»Wann fliegen Sie nach Bogotá?«
»Heute Abend.«
»Ich brauche mehr Hardware. Weitere Lynx. Zwei Apaches. Trucks.«
»Sie können sich drauf verlassen.« Sir Georges Telefon summte. Ohne Amonite weiter zu beachten, nahm er es ans Ohr und schlenderte davon. Er setzte sich an einen Tisch fast ganz vorne, gleich neben Zathanaís, der mit seiner Rede inzwischen fertig war.
Amonite stürzte einen weiteren Espresso in sich hinein. Er schmeckte so bitter, wie ihr zumute war. Sie warf noch einen letzten Blick über die Konferenz. Sir George und Zathanaís waren bereits in ein Gespräch vertieft, die Köpfe zusammengesteckt wie Verliebte bei einem romantischen Essen. Sprachen die denn überhaupt miteinander? Wo sie doch erst einige Wochen zuvor über Plan Colombia aneinandergeraten waren?
Amonite
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