Schwarzer Mittwoch
wahrscheinlich beschäftigt.«
»Wie es der Zufall so will, hätte ich sogar Zeit. Ich habe mich nur gerade gefragt, ob ich mir nicht noch die Haare waschen sollte.«
Er musste lachen. Schlagartig besserte sich seine Stimmung.
»Es ist ja kein Vorstellungsgespräch.«
Sie trafen sich in einem Weinlokal in Stoke Newington und tranken zusammen eine Flasche Weißwein. Alles war ganz einfach. Er fand, dass ihr Haar schön aussah, und ihm gefiel auch die Art, wie sie ihn anlächelte und zu seinen Worten bestätigend nickte. Sie war in helle, zarte Stofflagen gehüllt und hatte sich die Lippen geschminkt. Ein Hauch von ihrem Parfüm stieg ihm in die Nase. Wenn sie sprach, legte sie ihm die Hand auf den Arm und beugte sich zu ihm hinüber. Er spürte ihren Atem an seiner Wange und registrierte, wie groß ihre Pupillen in dem schummrigen Licht wirkten.
Hinterher fuhren sie zu ihr, weil er nicht in seine Wohnung wollte, obwohl die näher lag. Sie entschuldigte sich für die Unordnung, die ihn aber gar nicht störte. Er war vom Wein benommen und müde und hatte nur noch den Wunsch, endlich mal ein bisschen loszulassen.
Sie nahm eine bereits geöffnete Weißweinflasche aus dem Kühlschrank und schenkte ihnen beiden ein Glas ein. Erwartungsvoll wandte sie ihm das Gesicht zu, woraufhin er sich über sie beugte und sie küsste. Während sie sich auszogen, musste er die ganze Zeit daran denken, wie lange er das schon nicht mehr getan hatte. Er schloss die Augen und genoss es, sie zu spüren – ihre weiche Haut, ihren Duft. Ging das wirklich so leicht?
Paul Kerrigan war nicht direkt betrunken, aber nach drei Bierchen auf fast leeren Magen – mittags hatte er nur ein Käsesandwich gegessen, und das nicht mal ganz – fühlte er sich ein wenig benebelt. Rein theoretisch war er auf dem Heimweg, aber eigentlich wollte er gar nicht nach Hause. Vor seinem geistigen Auge sah er das schmale, traurige Gesicht seiner Frau und die feindseligen, verächtlichen Blicke seiner Söhne. Er kam sich in seinem eigenen Haus inzwischen vor wie ein Fremder, ein verhasster Eindringling. Deswegen ging er nur ganz langsam und spürte bei jedem Schritt das Gewicht seines schweren Körpers, das Pochen des Blutes in seinem schmerzenden Kopf. Nach allem, was passiert war, musste er endlich wieder Ordnung in sein Leben bringen, aber an diesem Abend kam ihm jede Bewegung anstrengend vor, und er konnte keinen klaren Gedanken fassen, sein Gehirn fühlte sich an wie Matsch.
Vor einem Monat hatte Ruth noch gelebt, ging ihm durch den Kopf, Elaine hatte von nichts gewusst, und seine Söhne waren noch voller Zuneigung für ihn gewesen. Wehmütig erinnerte er sich an ihre liebevollen Neckereien. Nun aber wurde ihm jeden Morgen, wenn er aufwachte, von Neuem bewusst, dass jenes frühere Leben vorbei war.
Er erreichte seine Straße und blieb einen Moment stehen. Schlagartig wurde es laut, das Pub an der Ecke entließ eine Schar angeheiterter Gäste hinaus auf den Gehsteig. Deswegen hörte er die Schritte hinter sich nicht und konnte sich auch nicht mehr rechtzeitig umdrehen, um zu sehen, wer da etwas Schweres auf seinen Hinterkopf donnern ließ, woraufhin er schwankend zu Boden ging und auf der Straße landete. Der nächste Schlag traf ihn am Rücken. Er musste daran denken, wie weh ihm das später tun würde – genau wie seine Wange, die er sich böse aufgeschürft hatte, als er vorhin so unsanft über den Asphalt geschrammt war. Er schmeckte Blut und hatte außerdem Steinchen im Mund. Trotz des Tosens in seinem Kopf hörte er die Stimmen der Kneipengäste, wenn auch nur wie ein entferntes Rauschen. Er wollte um Hilfe rufen, doch seine Zunge war geschwollen, und es erschien ihm einfacher, die Augen zu schließen und zu warten, bis die Schritte sich schließlich entfernten.
Mühsam rappelte er sich hoch und schwankte die Straße entlang bis zu seiner Haustür. Da ihm seine Finger nicht gehorchten und er den Schlüssel einfach nicht zu fassen bekam, klopfte er so lange, bis Elaine ihm endlich aufmachte. Einen Moment lang starrte sie ihn an, als stünde sie einem Ungeheuer oder einem Wahnsinnigen gegenüber. Dann schlug sie voller Entsetzen die Hand vor den Mund. Es war eine Geste wie aus einem Comic, die Paul früher bestimmt lustig gefunden hätte – in seinem friedlichen alten Leben.
»Ich war es nicht.« Russell Lennox hatte blutunterlaufene Augen und verströmte den abgestandenen Geruch von Alkohol. Seit sein Flaschenversteck im Gartenschuppen entdeckt
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