Schwarzer Mittwoch
spulen den Abend immer wieder ab.«
»Sie sollten sich nicht die Schuld geben.«
»Doch, das sollten wir.«
»Es tut mir so leid«, fuhr Fearby fort, »aber haben Sie vielleicht ein Foto?«
»Ich kann Ihnen keines geben«, erwiderte die Frau. »Wir haben damals mehreren Journalisten welche ausgehändigt, und auch der Polizei. Wir haben sie nie zurückbekommen.«
»Ich möchte nur einen Blick darauf werfen.«
»Moment«, sagte die Frau.
Er stand vor der Tür und wartete. Nach einer Weile hörte er, wie die Kette gelöst wurde. Die Frau reichte ihm ein Foto. Er betrachtete das Mädchen, ein junges, aufgewecktes Gesicht. Wie immer musste er daran denken, was sie erwartet hatte – was dieses Gesicht erleiden musste. Er registrierte das dunkle Haar und die Augenpartie, die dieses besondere Etwas aufwies. Die Mädchen sahen aus, als wären sie Schwestern, irgendwie vom selben Schlag. Er holte sein Telefon heraus.
»Ist das in Ordnung?«, fragte er.
Die Frau zuckte nur mit den Achseln. Nachdem er die Aufnahme mit seinem Handy abfotografiert hatte, reichte er sie der Frau zurück.
»Was werden Sie jetzt unternehmen?«, fragte sie. »Was werden Sie wegen unserer Daisy tun?«
»Ich versuche, möglichst viele Informationen zu sammeln«, antwortete Fearby. »Wenn ich auf etwas stoße, gebe ich Ihnen Bescheid.«
»Werden Sie Daisy finden?«
Fearby ließ sich mit seiner Antwort Zeit.
»Nein. Nein, ich glaube nicht.«
»Dann können Sie sich die Mühe sparen«, entgegnete die Frau und schloss die Tür.
Frieda war sehr gespannt darauf gewesen, die Frau kennenzulernen, die Rajit Singh das Herz gebrochen hatte, doch als Agnes Flint ihr die Wohnungstür aufmachte, dachte sie zuerst, sie habe sich in der Tür geirrt. Vor ihr stand eine junge Frau mit einem weichen, runden Gesicht, umrahmt von dichtem braunem Haar, das sie unordentlich nach hinten gestrichen hatte. Über ihrer Jeans trug sie einen schlichten schwarzen Pulli. Dass sie trotzdem nicht unscheinbar wirkte, verdankte sie ihren großen dunklen Augen und einem leicht ironischen Gesichtsausdruck. Frieda hatte das Gefühl, abschätzend gemustert zu werden.
»Ich weiß nicht so recht, was dieser Besuch soll«, erklärte sie.
»Geben Sie mir eine Minute«, antwortete Frieda.
»Dann kommen Sie mal besser rein. Ich wohne ganz oben.«
Frieda folgte ihr die Treppe hinauf.
»Von außen sieht es ein bisschen langweilig aus«, sagte Agnes über die Schulter, »aber warten Sie, bis Sie drin sind.«
Sie öffnete die Tür, und Frieda folgte ihr hinein. Sie traten in ein Wohnzimmer mit großen Fenstern an der Stirnseite. Frieda ließ den Blick schweifen.
»Jetzt weiß ich, was Sie meinen«, erklärte sie.
Die Wohnung ging auf ein Netzwerk von Eisenbahnschienen hinaus. Auf der anderen Seite befand sich ein Lagerhaus, und dahinter säumten ein paar Wohngebäude das Südufer der Themse.
»Manche Leute finden die Vorstellung, neben der Bahn zu wohnen, eher grauenerregend«, bemerkte Agnes, »aber mir gefällt es. Es ist, als würde man neben einem Fluss wohnen, auf dem seltsame Dinge vorbeiströmen. Außerdem sind die Züge ja weit genug weg. Die Pendler können nicht zu mir hereinstarren, wenn ich im Bett liege.«
»Mir gefällt es auch«, meinte Frieda. »Ich finde den Ausblick interessant.«
»Na, dann sind wir ja schon zwei.« Die junge Frau schwieg einen Moment. »Sie haben also mit dem armen alten Rajit gesprochen.«
»Warum nennen Sie ihn so?«
»Sie haben ihn ja kennengelernt. Es war nicht besonders lustig, mit ihm zusammen zu sein.«
»Er wirkte ein bisschen deprimiert.«
»Was Sie nicht sagen. Hat er Sie geschickt, damit Sie ein gutes Wort für ihn einlegen?«
»Sie sind wohl nicht im Guten auseinandergegangen?«
»Geht man denn jemals im Guten auseinander?« Draußen rumpelte es, und Agnes wandte den Kopf. Ein Zug fuhr vorbei. »In einer Stunde ist er in Brighton.«
Sie wandte sich wieder Frieda zu. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Nachdem Sie sich schon extra auf den weiten Weg zu mir gemacht haben.«
»Nur zu.«
»Was wollen Sie hier? Ihr Anruf hat mich neugierig gemacht. Rajit hat Ihnen ja wahrscheinlich gesagt, dass er meine Entscheidung, die Beziehung zu beenden, nur schwer akzeptieren konnte. Er hat immer wieder angerufen und ist auch mehrmals hier aufgetaucht. Er hat mir sogar Briefe geschrieben.«
»Was stand da drin?«
»Ich habe sie ungeöffnet weggeworfen. Deswegen war ich irgendwie überrascht, als Sie anriefen. Ich habe mich
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