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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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von keiner Lila.«
    »Aber Sie kennen Shane?«
    »Ich kannte mal einen, aber den habe ich eine Ewigkeit nicht gesehen. Er kommt nicht mehr in diesen Laden.«
    »Er war im Gefängnis«, erklärte die Frau neben ihm trocken. Der Mann, auf dessen Schoß sie saß, versuchte sie wieder an sich zu ziehen, doch sie schob ihn weg.
    »Sie kennen ihn?«
    »Kennen Sie Lila auch?«, fügte Agnes in drängendem, fast schon flehendem Ton hinzu.
    »War das eine von denen, die immer mit Shane herumhingen?«
    »Warum musste Shane ins Gefängnis?«, meldete Frieda sich wieder zu Wort.
    »Ich glaube, er hat jemandem eine übergezogen«, antwortete der Blonde, »mit einer Flasche.«
    »Sitzt er immer noch ein?«
    »Keine Ahnung. Sie könnten Stevie fragen, der kennt Shane.«
    »Wo finde ich denn diesen Stevie?«
    »Direkt hinter ihnen«, sagte eine Stimme, woraufhin Frieda und Agnes sich umdrehten und sich einem kräftig gebauten Mann mit rasiertem Schädel und einem seltsam weich und mädchenhaft wirkenden Gesicht gegenübersahen. »Was wollen Sie von Shane?«
    »Ihn einfach nur finden.«
    »Warum?«
    »Er kannte meine Freundin.« Agnes’ Stimme zitterte leicht. Frieda legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm.
    »Was war das für eine Freundin?«
    »Lila. Lila Dawes.«
    »Lila? Shane hatte so viele Freundinnen.«
    »War er ein Zuhälter?«, fragte Frieda, deren Stimme in dem überheizten Raum kühl und klar klang.
    »Sie sollten aufpassen, was Sie über die Leute sagen«, wies Stevie sie zurecht.
    »Ist er immer noch im Gefängnis?«
    »Nein, sie haben ihn schon nach ein paar Monaten wegen guter Führung wieder rausgelassen.«
    »Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
    Das Lächeln, das sich über Stevies Gesicht ausbreitete, galt nicht Frieda, sondern dem blonden Mann am Tisch. »Weißt du, was unser Shane inzwischen macht? Er arbeitet in Essex auf einem Gnadenhof für Pferde. Er füttert Ponys, deren Besitzer sie nicht gut behandelt haben. Richtige Glückspilze, diese Ponys, was?«
    »Wo in Essex?«
    »Warum wollen Sie das wissen? Haben Sie einen Gaul, den Sie loswerden wollen?«
    »Ich möchte gern mit Shane reden.«
    »Irgendwo an einer großen Straße.«
    »Welcher großen Straße?«
    »An der A12. Der Hof hat so einen blöden Blumennamen. Gänseblümchen. Oder Sonnenblume.«
    »Was jetzt?«
    »Sonnenblume.«
    »Danke«, sagte Frieda.
    »Du mich auch.«
    Jim Fearby war beim letzten Namen auf seiner Liste angekommen: Sharon Gibbs aus Süd-London, neunzehn Jahre alt. Es war rund einen Monat her, dass sie das letzte Mal gesehen worden war, vielleicht auch schon fünf Wochen. Ihre Eltern hatten sie nicht sofort als vermisst gemeldet. Laut dem Polizeibericht, den er vor sich liegen hatte, war sie eine ziemliche Streunerin – vielleicht eine von denen, die absichtlich untertauchten. Selbst in der bürokratischen Sprache des Berichts nahm Fearby eine gewisse Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit wahr. Das klang nach einer weiteren Sackgasse.
    Sobald er aber vor seiner großen Landkarte stand und ein weiteres Mal die kleinen Fähnchen betrachtete, die er darauf verteilt hatte, spürte er plötzlich wieder jenes Kribbeln, das ihn schon während dieser ganzen seltsamen Ein-Mann-Ermittlung antrieb. Denn für ihn schien klar, dass er ein Muster vor sich hatte. Wenn er jedoch abends, am Ende eines Tages, mit seinem Whisky und seinen Zigaretten in seinem Zimmer saß – wo das Fenster allmählich grau anlief und er umgeben war von zerknülltem Papier, überquellenden Aschenbechern, Fastfood-Kartons, Kaffeetassen, die er nur zur Hälfte ausgetrunken, und Stapeln von Büchern, die er durchgeblättert und anschließend beiseitegelegt hatte –, dann wurde das Kribbeln immer schwächer.
    Einen Moment blickte er sich um und betrachtete seine Umgebung mit den Augen eines Fremden: In diesem Raum herrschte Chaos, daran bestand kein Zweifel, doch das Chaos basierte auf einer Obsession. Die Wände waren bedeckt mit Landkarten, Fotos von Mädchen und jungen Frauen, Haftnotizen mit Telefonnummern. Das alles ließ ihn wirken wie einen Stalker, einen Psychopathen. Er konnte sich genau vorstellen, wie bekümmert und entsetzt seine Frau oder seine Kinder dreinblicken würden, wenn sie jetzt hereinkämen: Er trug schäbige Kleidung, sein Gesicht war unrasiert, sein Haar gehörte dringend geschnitten, und er roch nach Tabak und Alkohol. Doch wenn er richtiglag und all diese Frauen, deren Gesichter ihn von den Wänden anstarrten, von derselben Person

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