Schwarzer Mittwoch
Arbeitszimmer setzen und zeichnen oder nachdenken oder einfach nur in die regnerische Nacht hinausblicken.
»Was verstehen Sie nicht?«, fragte sie in sanftem Ton.
»Ich lag gerade ganz gemütlich mit einem Roman und einer Tasse Tee im Bett. Da kam aus heiterem Himmel Ihr Anruf, und plötzlich bin ich unterwegs zu einem schäbigen kleinen Pub, wo sämtliche Mädels mit weiß Gott was zugedröhnt und sämtliche Männer tätowiert sind und einen mit stierem Blick anstarren. Und das nur, weil Lila irgendwann mal da rumhing. Warum?«
»Sie fragen sich, warum Sie mitgekommen sind?«
»Nein. Ich weiß, warum ich hier sitze. Lila war meine Freundin. Wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass ich sie finde, muss ich es zumindest versuchen. Aber warum fahren Sie dahin? Warum interessiert Sie das Ganze überhaupt?«
Frieda zuckte mit den Achseln. Sie hatte sich diese Frage selbst schon so oft gestellt, dass sie es müde war, nach einer Antwort zu suchen. Wortlos schloss sie die Augen und presste ihre Fingerspitzen auf ihre brennenden Lider. Wie ein weißes Blütenblatt auf dunklem Wasser tauchte plötzlich das bleiche Gesicht von Ted Lennox vor ihr auf und dann die wütende, vorwurfsvolle Miene von Chloë.
»Jedenfalls sind wir jetzt da«, sagte Agnes seufzend. »Ich hätte nie gedacht, dass ich je wieder einen Fuß in diesen Schuppen setzen würde.«
Nachdem Frieda den Taxifahrer gebeten hatte, auf sie zu warten, stiegen sie aus. Sie konnten bereits den Beat der Musik hören, die im Anchor lief. Vor der Tür drängten sich ein paar Raucher. Die Glut ihrer Zigaretten leuchtete in der Dunkelheit, und über ihnen hing eine Rauchwolke in der Luft.
»Bringen wir es hinter uns. Sie wollen also, dass ich nach Leuten Ausschau halte, die ich eventuell mal zusammen mit Lila gesehen habe.«
»Ja.«
»Vor zwei Jahren.«
»Genau.«
»Weil wir einen Typen namens Shane finden müssen.«
»Ja.«
»Glauben Sie eigentlich, Sie sind noch ganz richtig im Kopf?«, fragte Agnes mit einem schiefen Grinsen.
Sie bahnten sich einen Weg durch die Raucher und betraten das Pub, falls man die Kneipe überhaupt so nennen konnte. Frieda ging selten in Pubs: Sie hasste den Geruch nach Bier, das Gedudel der Musik und das Geblinke der Musicbox. Nun spürte sie, wie sich Dutzende Blicke auf sie beide richteten: Das war keine Kneipe, in die sich öfter mal Fremde auf ein Bierchen verliefen. Der Gastraum war so schwach beleuchtet, dass man gar nicht bis in den hinteren Teil sah. Grüppchen von Gästen – hauptsächlich Männer – saßen an den Tischen oder standen an der Theke und in den Ecken. In den Randbereichen dieser Gruppen hingen auch ein paar Frauen herum. Frieda registrierte die kurzen Röcke und weißen Oberschenkel, die Schuhe mit den hohen Absätzen, die stark geschminkten, teils verschmierten Gesichter und das schrille, hektische Lachen. In dem lang gezogenen Raum war es heiß, und die Luft roch abgestanden. Ein kleiner, untersetzter Mann stolperte und wäre ihnen fast vor die Füße gefallen. Aus dem Glas, das er in der Hand hielt, schwappte ein Schwall Bier auf den Boden.
»Sollen wir uns was zu trinken holen?«, fragte Agnes.
»Nein.«
Während sie sich langsam durch die Menge schoben, ließ Agnes den Blick von Gesicht zu Gesicht gleiten und runzelte dabei vor Konzentration die Stirn.
»Und?«, fragte Frieda.
»Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht der da.«
Sie nickte zu einem kleinen Tisch am Ende des Raums hinüber. Dort hatte sich eine Frau bei einem Mann auf den Schoß gesetzt, und die beiden küssten und begrapschten sich ziemlich hemmungslos. Neben ihnen hockte ein Mann, der sie beobachtete wie Tiere im Zoo, dabei aber keine Miene verzog. Er war klapperdürr und hatte wasserstoffblondes Haar und blasse Haut. Über seine Stirn verlief eine Linie aus kleinen roten Pünktchen, die aussah wie eine Naht.
»Na, dann wollen wir mal.«
Frieda trat vor und tippte ihm an die Schulter. Als er sie ansah, fielen ihr sofort seine riesigen Pupillen auf, die ihm etwas fast Überirdisches verliehen.
»Kann ich kurz mit Ihnen sprechen?«
»Wer sind Sie?«
»Ich suche Shane.«
»Shane.« Das war keine Frage, sondern nur eine Art Echo. »Shane wer?«, hakte er nach.
Das Paar neben ihm hörte auf, sich zu küssen, und löste sich voneinander. Die Frau lehnte sich vor und nahm einen Schluck aus dem Glas auf dem Tisch. Dabei wirkte ihr Gesicht völlig ausdruckslos.
»Ich meine den Shane, der Lila Dawes kannte.«
»Ich weiß
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